10. November 2022

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Lula und die brasilianischen Indigenen

Protest Brasilia Juni 2021

Der neugewählte Präsident Brasiliens, Luis Inácio «Lula» da Silva, will wieder vermehrt die Anliegen der Indigenen vertreten. Zu seinem Sieg verhalfen ihm Allianzen mit politischen Gruppierungen, deren Interessen sich beissen. Das könnte sich als Hürde für seine Wahlversprechen herausstellen. Eine Einschätzung von Vinícius Brito da Silva Machado, Berater der GfbV in Brasilien, zur Lage der Indigenen hinsichtlich des Regierungswechsels in Brasilia.

Foto: Indigene protestieren gegen die Regierung Bolsonaro, 2021
(Foto: Scoot e Aranduhá / APIB))

Bei den Präsidentschaftswahlen in Brasilien am 30. Oktober 2022 wurde der ehemalige Gewerkschafter Luís Inácio Lula da Silva, Kandidat der Linken und Vertreter der Arbeiterpartei (PT), mit 60,1 Millionen Stimmen gewählt. In einem knappen Wahlkampf gegen Jair Messias Bolsonaro, bisheriger Amtsinhaber und Kandidat der rechtsextremen Liberalen Partei (PL), gewann Lula mit einer Differenz von 2,1 Millionen Stimmen – der geringsten Differenz seit Ende der brasilianischen Militärdiktatur im Jahr 1985. Das Resultat ist zudem ein Sieg des Bündnisses der demokratischen und progressiven Kräfte in der Koalition «Brasilien der Hoffnung», die sich aus linken und Mitte-Links-Parteien zusammensetzt. Nach zwölf Jahren kehrt Lula im kommenden Januar für eine dritte Amtszeit wieder zurück nach Brasilia.

LULAS VERSPRECHEN AN DIE INDIGENEN

Während des Wahlkampfs gelang es Lula, verschiedene Gruppen um sich zu scharen. Darunter auch die indigenen Gemeinschaften Brasiliens, mit dem Versprechen einer Politik und Massnahmen, die ihre Rechte garantieren sollen. In seinen Leitlinien für das Programm zum Wiederaufbau und zur Umgestaltung Brasiliens verpflichtete sich Lula, die Rechte und Territorien der indigenen Gemeinschaften zu schützen. Er hält es für seine Pflicht, ihr Land zu sichern und Aktivitäten zu verhindern, die ihre Rechte untergraben. Auch seien Massnahmen wichtig, welche den Indigenen ein menschenwürdiges Leben ermöglichen sollen: Die Garantie ihrer Bürger:innenschaft als Brasilianer:innen sowie der respektvolle Umgang mit Kultur, Traditionen, Lebensweise und dem traditionellen Wissen der Indigenen.

Weiter will Lula die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen des Landes bekämpfen und die grüne Wirtschaft anregen. Dazu sei es notwendig, staatliche Kapazitäten, strategische Planung und soziale Teilhabe wiederherzustellen. Wichtig sei dabei auch, die Nationale Umweltbehörde (IBAMA) und die Nationale Stiftung für indigene Gemeinschaften (FUNAI) zu stärken, beides unter der letzten Regierung in den Ruin getriebene Einrichtungen.

Im Plan des linken Politikers wird Brasilien als wichtiger Mineralienproduzent präsentiert. Der Bergbau soll jedoch durch stärkere Verflechtung mit der nationalen Industrie, Engagement für Umweltschutz, mehr Rechten für Arbeitnehmer:innen und Achtung der lokalen Gemeinschaften gefördert werden. Weiter muss der Standard der Bergbauregulierung verbessert und illegaler Bergbau, insbesondere im Amazonasgebiet, entschieden bekämpft werden. Dies sind Wahlversprechen und Verpflichtungen, die Lula während der gesamten Wahl verteidigt hat. Das sind gewagte Versprechen: Wie werden die Regulierungen aussehen, und wie werden sie sich von den Massnahmen der derzeitigen Regierung Bolsonaros unterscheiden? Indigene Gemeinschaften werden die Entwicklungen in diesem Bereich genau beobachten und ihre Rechte weiterhin einfordern.

In seiner Siegesrede versprach Lula ein Ministerium für die indigenen Gemeinschaften zu schaffen. Er wies darauf hin, dass die indigene Bevölkerung den Weg weisen müsse. «Wir beenden eine faschistische Regierung. Eine Regierung, die Menschen nicht mag. Eine Regierung, die schwarze Menschen nicht mag. Eine Regierung, die indigene Gemeinschaften nicht mag. Für die Indigenen werde ich ein Ministerium schaffen, damit sie nie wieder misshandelt werden», sagte Lula. Er versicherte, dass das neue Ministerium von einer indigenen Person geleitet werden soll. In seiner Rede in São Paulo nach Verkündung des Wahlergebnisses erklärte er: «Es wird nicht ein Weisser wie ich oder eine Galicierin wie Gleisi [Hoffmann, PT-Präsidentin] sein. Es muss ein Indigener oder eine Indigene an der Spitze des neuen Ministeriums stehen.»

APIB UNTERSTÜTZTE LULA

Die Massnahmen wurden ihm von der Indigenen-Dachorganisation APIB vorgelegt. In einem Brief forderte APIB die Brasilianer:innen und die indigenen Gemeinschaften auf, für Lula als Präsident Brasiliens zu stimmen. Die Organisation positionierte sich gegen die Führung des derzeitigen Präsidenten Bolsonaro, der zur Wiederwahl antrat, und kritisierte den Kurs der aktuellen Regierung. So bekräftigt APIB, dass die Grundrechte der indigenen Gemeinschaften einem Regime des Rückschritts und der Unterdrückung unterworfen wurden. Sei es durch administrative Massnahmen wie beispielsweise das Dekret 11. 226, das regionale Komitees der FUNAI ausser Kraft setzte. Seien es Dutzende von Gesetzesinitiativen wie das PL-191/20, das die Ausbeutung von Mineralien, Wasser und organischen Ressourcen in indigenen Reservaten legalisieren soll. All diese Massnahmen gefährden das Leben und die Kontinuität sozial, ethnisch und kulturell differenzierter Gemeinschaften. Betroffen wären die mehr als 305 verschiedenen Gemeinschaften und Sprecher:innen von mehr als 274 Sprachen, die es in Brasilien gibt.

Dem Brief von APIB zufolge sollten die Indigenen nicht nur wegen dieses Szenarios von Missständen, die Bolsonaros Politik verantwortet, für den ehemaligen Präsidenten Lula stimmen. Die Organisation erklärt, dass es notwendig ist, weiterzugehen: «Wir müssen diese Prozesse der Zerstörung unterbrechen. Unser Kampf ist für unsere Bevölkerung aber auch für die Zukunft aller Brasilianer und Brasilianerinnen und für die gesamte Menschheit!’’ (APIB 2022)

VORSICHT IST GEBOTEN

In seinen letzten Amtszeiten hat Lula ein zweifelhaftes Verhältnis zu den Indigenen aufgebaut, indem er manchmal Interessen vertrat, die der Urbevölkerung schaden, wie z.B. der Bau des Staudamms Belo Monte.Es ist notwendig seiner Regierung genau auf die Finger zu schauen, denn unter den fortschrittlichen Kräften, die ihr angehören, gibt es auch Vertretende der Agrarindustrie und des Bergbaus: Sektoren, die den Indigenen große Probleme bereiten und Schaden zufügen können.

Der Jurist und Sozialanthropologe Vinícius Brito da Silva Machado ist spezialisiert auf indigene Rechte. Er ist Berater der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV Schweiz) in Brasilien.

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