04. Juli 2023

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Erinnerungen an Proteste in Urumqi und die Repression in Ostturkestan

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Heute jährt sich der Beginn tagelanger Proteste in Urumqi, Ostturkestan, bereits zum vierzehnten Mal. Die Proteste und die darauffolgende Repression durch das chinesische Regime zeichneten sich durch beispiellose Härte aus. Es gab zahlreiche Tote und Verletzte. In den darauffolgenden Monaten verschwanden tausende Uigur:innen. Seither hat sich die Repression der Uigur:innen in Ostturkestan noch weiter verschärft.

Heute vor vierzehn Jahren, am 5. Juli 2009, begannen in Urumqi, der grössten Stadt in Ostturkestan (chinesisch: Xinjiang) ethnische Unruhen. Die Unruhen folgten einer tödlichen Auseinandersetzung in einer Fabrik, die einige Wochen zuvor in der weit entfernten südchinesischen Provinz Guangdong stattgefunden hatte: Einige Han-Chinesen verprügelten uigurische Arbeiter, nachdem ein verbitterter ehemaliger Fabrikarbeiter online das Gerücht verbreitet hatte, uigurische Männer hätten zwei Frauen aus der ethnischen Gruppe der Han an ihrem Arbeitsplatz vergewaltigt. Es gibt Videoaufnahmen davon, was folgte: Die Männer wurden gejagt und zu Tode geprügelt – mindestens zwei der Uiguren starben bei diesem brutalen Angriff, 118 Menschen wurden verletzt.

Die Nachricht von den Todesfällen erreichte die Uigur:innen in Urumqi und löste am 5. Juli friedliche Proteste aus. Bald arteten diese jedoch in gewaltsame Ausschreitungen aus. Chinesische paramilitärische Kräfte wurden eingesetzt und schossen laut Augenzeugen mit scharfer Munition in die protestierende Menschenmenge. Uigur:innen griffen Angehörige der Han an und gingen gegen Geschäfte von Han-Chines:innen los. Mobs aus Han-Chines:innen schlugen in den Tagen danach mit Stöcken und Metallstangen zurück.

Die offizielle Zahl der Todesopfer in Folge der Unruhen beläuft sich gemäss offiziellen chinesischen Angaben auf 197 Menschen, davon zumeist Han-Chines:innen. Zudem gab es 1'600 Verletzte und 1'000 Personen wurden festgenommen. Einige Monate später wurden neun Menschen im Zusammenhang mit den Protesten hingerichtet. Uigurische Gruppen und Menschenrechtsorganisationen gehen jedoch davon aus, dass die Zahl der Toten und Verletzten im Zusammenhang mit den Unruhen weitaus höher liegen und mit den offiziellen Zahlen die Gewalt an der uigurischen Bevölkerung verschleiert wird. Darüber hinaus verschwanden in den folgenden Wochen und Monaten Tausende Uigur:innen, meist junge Männer in ihren frühen 20ern. Unabhängige Recherchen zu den Protesten und dem Verschwinden von Menschen in den darauffolgenden Monaten sind bis heute nicht möglich. Die genaue Zahl der getöteten, festgenommenen, inhaftierten, hingerichteten und verschwundenen Personen im Zusammenhang mit den Unruhen bleibt daher weiterhin unklar.

Verschärfung der Repression

Seit dem Sommer 2009 hat sich die Unterdrückung der uigurischen Gemeinschaft in Ostturkestan massiv verschärft. Bereits zuvor hatte die chinesische Regierung eine intensive und oft brutale Kampagne zur Unterdrückung aller Formen des uigurischen Dissenses geführt. Im Jahr 2016 setzte die Zentralregierung Chen Quanguo als neuen Parteisekretär in der Region ein. Chen brachte seine repressiven Taktiken mit, die er bereits auf seinem früheren Posten als Parteisekretär in Tibet erprobt hatte. Es folgte eine massive Ausweitung der Polizeiarbeit.

Heute herrscht in Ostturkestan eine unvorstellbare, alltägliche Repression. Es ist kaum mehr möglich, aus der Region zu berichten. Dennoch sickern immer wieder Informationen durch über die Zustände: Über eine Million Menschen wurden bis heute in Zwangslagern in Ostturkestan festgehalten, Zwangsarbeit ist weit verbreitet, die Geburtenrate uigurischer Kinder wurde mittels unterschiedlichen Methoden stark eingeschränkt und die kulturelle und Religionsfreiheit ist massiv beschnitten. Die Unterdrückung hat viele Uigur:innen veranlasst, in die Türkei und in andere Länder zu flüchten. Heute ist eine Flucht aus der stark abgeschirmten Region kaum mehr möglich. Auch in der Schweiz leben heute rund 150 Uigur:innen. Viele von ihnen leben in ständiger Sorge um ihre noch in Ostturkestan verbliebenen Freunde und Familien. Und teilweise fühlen sie sich sogar hier in der Schweiz nicht sicher vor dem langen Arm der Kommunistischen Partei China.

Ostturkestan ist nur ein, wenn auch sicherlich das beunruhigendste Beispiel für die Entwicklung Chinas unter dem KPCh-Generalsekretär Xi Jinping: Dieser ist besessen, die Stabilität des Landes und die Macht der Partei um jeden Preis aufrechtzuerhalten und nimmt dafür in Kauf, Minderheiten wie die Uigur:innen in einer unvorstellbaren Härte zu unterdrücken. Die Schweiz nimmt dies mit ihrem Schweigen gegenüber China indirekt in Kauf, um ihre Handelsbeziehungen zu dem mächtigen Wirtschaftspartner aufrechtzuerhalten. Dies hat sich auch diese Woche wieder gezeigt: In Bern fand der bilaterale Menschenrechtsdialog zwischen der Schweiz und China statt. Die chinesische Delegation hat dabei den Plan der Schweizer Regierung abgelehnt, als Teil der zweitätigen Gespräche auch mit der Zivilgesellschaft in Austausch zu treten, darunter mit der Gesellschaft für bedrohte Völker und dem Uigurischen Verein Schweiz. Die offizielle Schweiz hat dies akzeptiert: Der Dialog hat trotzdem stattgefunden, hinter verschlossenen Türen und nicht weit von dem Ort entfernt, an dem Uigur:innen heute den Toten und Verhafteten von 2009 gedenken.

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