22. September 2023

Medienmitteilung

Brasilien: Oberstes Bundesgericht fällt richtungsweisendes Urteil zu Gunsten indigener Gemeinschaften

Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) begrüsst das jüngste Urteil des Obersten Bundesgerichts in Brasilien: Im Landrechtsstreit um das indigene Territorium Xokleng Ibirama-La Klãnõ zwischen drei indigenen Gemeinschaft und dem Bundesstaat Santa Catarina stuft es die These des «Marco Temporal» als unrechtmässig ein und stellt sich auf die Seite der indigenen Gemeinschaften. Somit setzt das Gericht ein Zeichen gegen die andauernde kolonialistische Haltung von Politik, Wirtschaft und Grossgrundbesitzern gegen indigene Gemeinschaften.

«Das Recht auf ihr Land ist für die indigenen Gemeinschaften Brasiliens überlebensnotwendig», sagt Christoph Wiedmer, Co-Geschäftsleiter der Gesellschaft für bedrohte Völker. «Gestern unterstützte eine Mehrheit der Richter am Obersten Gericht die indigenen Gemeinschaften in ihrem verfassungsmässigen Recht auf die Anerkennung von mehr als 300 weiteren indigene Territorien.» Gemäss der These des «Marco Temporal», die vom Agrarsektor in Brasilien vertreten wird um Zugang zu noch mehr Land zu erhalten, dürften nur indigene Gemeinschaften ein Gebiet beanspruchen, wenn sie beweisen können, dass sie beim Inkrafttreten der brasilianischen Verfassung am 5. Oktober 1988 dort lebten oder auf das Gebiet Anspruch erhoben haben.

«Das neue Urteil des Obersten Bundesgerichtes setzt ein Zeichen gegen jahrhundertelange kolonialistische Gewalt gegen die indigenen Gemeinschaften und honoriert die massive Bedeutung geschützter indigener Territorien im Kampf gegen Artensterben und Klimakatastrophe», fasst Christoph Wiedmer zusammen. Umso wichtiger ist es aus Sicht der indigenen Gemeinschaften, dass mit dem Entscheid kein Präzedenz-Fall für alle bestehenden und zukünftigen Demarkierungsprozesse geschaffen wurde. Sonst drohen mehr als 80 bestehenden und über 300 sich im Demarkierungsprozess befindenden indigenen Gebieten der Verlust des Schutzes --- zehntausenden von Indigenen Betroffenen drohte die Vertreibung aus ihren angestammten Lebensräumen und damit die Auslöschung ihrer Kultur.

Vom Einzelfall zum neuen Gesetz

Konkret geht es im aktuellen Gerichtsurteil um eine Räumungsklage der Regierung von Santa Catarina gegen die Gemeinschaft der Xokleng. Die Klage bezieht sich auf das indigene Gebiet Ibirama-La Klãnõ, in dem die Gemeinschaften der Xokleng, Guarani und Kaingang leben. Wie andere indigene Gemeinschaften wurden die Xokleng im Zuge der Kolonisierung vertrieben, und ihre Nachfahren erreichten erst im Jahr 1996, dass ihnen ein Teil des Landes wieder zugesprochen wurde. 2019 gab der Oberste Gerichtshof des Landes dem Prozess den Status einer „allgemeinen Präzedenz“. Zahlreiche weitere solcher Landrechts-Streitigkeiten sind unmittelbar vom heutigen Urteil des Gerichtes zu Marco Temporal abhängig.

Das Urteil des Obersten Bundesgerichts kommt, nachdem die Abgeordnetenkammer mit rechter Mehrheit am 30. Mai den Gesetzesentwurf PL 490/07 angenommen hat. Dieser will den verfassungswidrigen und verheerenden Marco Temporal im Gesetz verankern. Neben der Aberkennung von Schutzgebieten würde der PL 490/07 den Bau von Infrastrukturprojekten, Landwirtschaft und Goldabbau in geschützten indigenen Territorien erlauben, Landraub fördern und unkontaktierte Gemeinschaften gefährden. Über PL 490/07 wird nun noch der Senat entscheiden und könnte durch ein Veto von Lula gestoppt werden.

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