Menschen & Geschichten

«Wir erleben einen grünen Kolonialismus»

Aili Keskitalo

Ehemalige Präsidentin des norwegischen Sami-Parlaments (Herbst 2021)

Aili Keskitalo war bis im Herbst dieses Jahres Präsidentin des norwegischen Sami-Parlaments. Sie engagiert sich für einen stärkeren Schutz der Indigenen-Rechte in Norwegen und auf globaler Ebene.

Aili Keskitalo die Arktis steht zunehmend im Interesse von Staaten und Unternehmen. Warum?

Durch den Klimawandel werden Ressourcen in der Arktis leichter zugänglich. Staaten und Unternehmen sind an der industriellen Ausbeutung dieser Ressourcen interessiert. Die Arktis ist aber ein sehr empfindliches Ökosystem. Eingriffe wie der Abbau von Ressourcen zerstören diese einmalige Natur.

Welche Auswirkungen hat das auf die indigenen Sami?

Wir Sami leben traditionell von der Natur und mit der Natur. Alle Auswirkungen auf die Natur haben also einen Einfluss auf unser Leben. Doch wir können die Gebiete, in denen wir leben, nicht genügend schützen, weil der Staat unsere Landrechte zu wenig anerkennt. Das geht leider allen indigenen Gemeinschaften der Arktis so.

Können Sie ein Beispiel dafür nennen, wie der Eingriff in die Natur die Lebensgrundlage der Sami bedroht?

Ein Beispiel dafür ist der Bau des Fosen-Windparks auf dem Gebiet der Südsami. Durch die Windkraftanlage können die betroffenen Familien ihre Rentierzucht nicht mehr weiterführen, weil die Rentiere das Gebiet meiden. Gleichzeitig wird die Anlage als «grüne» und saubere Energie für einen ökologischen Wandel angepriesen und bekommt so mehr Unterstützung als wir, die auf die negativen Auswirkungen hinweisen.

Ist die Förderung von erneuerbaren Energien nicht auch im Interesse der indigenen Gemeinschaften?

Der Klimawandel betrifft alle Menschen und es müssen rasch Massnahmen getroffen werden. Es ist aber paradox, dass wir Sami unsere nachhaltige Lebensweise aufgeben sollen, damit die Welt nachhaltiger wird. Stattdessen müssten die Ursachen der Klimakrise bekämpft werden, die meiner Ansicht nach in der Idee eines immer grösseren Wirtschaftswachstums liegen. «Grüne Energie» mag daher gut klingen, aber es muss genau hingeschaut werden: Sind die Projekte wirklich klimafreundlich, sozial verträglich und gerecht? Wir mussten leider die Erfahrung machen, dass erneuerbare Energie zu einem «grünen Kolonialismus» führt.

Was meinen Sie mit «grünem Kolonialismus»?

Damit meine ich, dass «grüne» Projekte wie Windkraftanlagen zu Landraub führen können. Das geschieht, weil unsere Rechte nicht ausreichend anerkannt werden. Es reiht sich ein in die Geschichte unserer Vorfahren und in die Geschichte von vielen indigenen Gemeinschaften dieser Welt – nur geschieht es jetzt im Namen des Klimas.

Was braucht es, damit die Energiewende nicht auf Kosten der indigenen Völker geht?

Das wichtigste ist die Anerkennung der Indigenen-Rechte, vor allem das Recht auf eine freie, vorherige und informierte Zustimmung. Ein Unternehmen muss hierzu transparent in seinen Vorhaben sein und den betroffenen Gemeinschaften alle Informationen zur Verfügung stellen. Und die Forderungen und Entscheidungen der indigenen Gemeinschaften müssen voll und ganz respektiert werden, egal wie sie ausfallen.

Was wünschen Sie sich von der Schweizer Bevölkerung?

Die Sami sind die einzige indigene Gemeinschaft von Europa. Ihre Situation sollte uns als Europäerinnen und Europäern nicht egal sein. Es ist wichtig, dass die Schweizer Bevölkerung und Investoren sich der Herausforderungen und möglichen Kosten auch bei erneuerbaren Energien bewusst sind. Ich erhoffe mir eine kritischere und differenziertere Haltung von der Öffentlichkeit gegenüber dem Konzept von «grüner» Energie.

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