Menschen & Geschichten

«Norwegen kann sich nicht von Menschenrechtsverletzungen freikaufen»

Mihkkal Hætta

Sámi Menschenrechtsaktivist, Filmemacher und Rentierhirte, Norwegen

Mihkkal mit der Präsidentin des Sámi Parliaments, Silje Karine Muotka. Mihkkal mit der Präsidentin des Sámi Parliaments, Silje Karine Muotka.

Mihkkal Hætta hat für mehr als einen Monat sein lávvu, das traditionelle Zelt der Sámi, vor dem norwegischen Parlament aufgeschlagen, um gegen die anhaltenden Menschenrechtsverletzungen an den Sámi auf der Fosen-Halbinsel zu protestieren. Vor zwei Jahren, am 11. Oktober 2021, hat der Oberste Gerichtshof von Norwegen Teile der Windparks «Fosen Vind DA» und «Roan Vind DA» für illegal erklärt. Auch zwei Schweizer Unternehmen, der Energiekonzern BKW und Energy Infrastructure Partners EIP, investieren in diese Energieprojekte. Die Windräder drehen jedoch bis heute weiter und setzen das kulturelle und wirtschaftliche Leben der dort lebenden Sámi aufs Spiel.

Wieso hast du dein lávuu direkt vor dem norwegischen Parlament aufgeschlagen?

Ich möchte durch meinen Protest aufzeigen, dass die Menschenrechtsverletzungen gegen die Sámi weitergehen und die norwegische Regierung nichts dagegen unternimmt. Unsere Rechte sind genauso wichtig wie die Rechte aller anderen Menschen, die in Norwegen leben. Norwegen kann sich nicht einfach aus einem Urteil des Obersten Gerichtshofs gegen Menschenrechtsverletzungen herauskaufen – vor allem nicht als Rechtsstaat!

Wie fühlst du dich derzeit?

Die Kälte ist kein Problem, ich habe gute Kleidung und das Rentierfell hält mich warm. Und ich habe die ganze Zeit Leute um mich. Aber es ist auch sehr schmerzhaft, als Sámi immer wieder die Erfahrung zu machen, dass unsere Rechte nicht so wichtig sind wie die Rechte anderer Menschen. Tag für Tag verlieren wir das Vertrauen in den Staat.

Wer unterstützt dich bei diesem Protest?

Die Vertreter:innen der Regierungsparteien würdigen mich keines Blickes und machen keine Anstalten, mit mir zu sprechen. Doch einige Mitglieder der Minderheitenparteien im Parlament haben ihre Unterstützung bekundet. Die Präsidentin des norwegischen Sámi-Parlaments, Silje Karine Muotka, kam ebenfalls vorbei und hat ihre Unterstützung gezeigt. Ausserdem erhalte ich viel Unterstützung aus ganz Sápmi und auch aus den Rentierzuchtbezirken von Fosen. Es ist wirklich schön und ermutigend, all diese positiven Reaktionen zu erhalten. Am 11. Oktober fanden mehrere Demonstrationen in Oslo statt, an denen insgesamt mehrere hundert Aktivist:innen und Unterstützer:innen teilnahmen.

Das norwegische Energieministerium hofft darauf, den Fall Fosen durch Mediation und Kompensationszahlungen an die betroffenen Familien zu lösen. Was ist die Position der Sámi zu diesem Vorschlag?

Norwegen kann sich nicht von Menschenrechtsverletzungen freikaufen. Der Standpunkt der Fosen-Sámi ist ganz klar: Sie wollen kein Geld, denn wenn sie das Geld annehmen, werden ihre Kultur und ihre Sprache sterben. Wie kann man also für die Tötung einer Kultur bezahlen? Sie verhandeln mit den Familien, das stimmt, aber ich habe das Gefühl, dass sie nur das Allernötigste tun. Es gibt bereits Pläne zum Bau von Windparks in der nordnorwegischen Provinz Troms und Finnmark auf Sommerweidegebieten der Sámi. Ganz Sápmi steht zurzeit sehr unter Druck an allen Ecken, auch in Finnland und Schweden. Es gibt hunderte von Fällen wie den auf Fosen. Deshalb ist es sehr wichtig, dass wir diesen gewinnen, denn wenn die Regierung nicht auf ihren eigenen Obersten Gerichtshof hört, welche Hoffnung haben wir dann, als Gemeinschaft weiterzubestehen?

Wie können euch Verbündete auch ausserhalb von Norwegen am besten unterstützen?

Indem sie Druck auf den norwegischen Staat ausüben, denn Norwegen ist um seinen Ruf im Ausland sehr besorgt. Dies ist nicht nur ein Fall für die Rechte der Sámi, sondern für Menschenrechte im Allgemeinen. Wem Menschenrechte am Herzen liegen, muss sich für diesen Fall interessieren, denn so etwas darf in einem Rechtsstaat wie Norwegen nicht passieren – im Grunde darf es nirgendwo passieren.

Mihkkal Hætta ist ein 22-jähriger Sámi Aktivist aus Guovdageaidnu im Norden Norwegens. Er wuchs in einer Familie von Sámi Rentierzüchter:innen auf und ist selbst Rentierhirte. Er ist professioneller Filmemacher und wurde vom Riddu Riđđu Festivàla, einem internationalen Indigenen Festival in Sápmi, zum Jungkünstler des Jahres ernannt. Durch seine Arbeit als Sámi Menschenrechtsaktivist und Filmemacher möchte er die tief verwurzelte Verbindung der Sámi zu ihrem Land deutlich machen und zeigen, dass sie sich selbst als Teil des Landes verstehen.

Lesen Sie hier Teil 2 des Interviews!

Interview: Karin Kaufmann
Foto:
 Ella Marie Hætta Isaksen

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