Mihkkal Hætta hat für mehr als einen Monat sein lávvu, das traditionelle Zelt der Sámi, vor dem norwegischen Parlament aufgeschlagen, um gegen die anhaltenden Menschenrechtsverletzungen an den Sámi auf der Fosen-Halbinsel zu protestieren. Vor zwei Jahren, am 11. Oktober 2021, hat der Oberste Gerichtshof von Norwegen Teile der Windparks «Fosen Vind DA» und «Roan Vind DA» für illegal erklärt. Auch zwei Schweizer Unternehmen, der Energiekonzern BKW und Energy Infrastructure Partners EIP, investieren in diese Energieprojekte. Die Windräder drehen jedoch bis heute weiter und setzen das kulturelle und wirtschaftliche Leben der dort lebenden Sámi aufs Spiel. Teil 2 des Interviews.
Weshalb sind Windparks so schädlich für die Rentiere?
Bei einem Windpark werden nicht nur Windturbinen aufgestellt. Das ganze Gebiet wird durch ein Strassennetz zerstört. Die Rentiere können nicht mehr grasen, weil es kein Futter mehr gibt. Und sie gehen nicht in die Nähe der Turbinen, weil sie so furchterregend aussehen und einen riesigen Lärm machen. Ich war diesen Sommer mit anderen Aktivist:innen auf Einladung der betroffenen Familie Jåma in Storheia. Einer der Rentierzüchter sagte, er erkenne das Land nicht mehr wieder. In Südfosen gibt es drei Winterweiden, die im Jahreszyklus abwechselnd genutzt werden. Wenn eine Weide wegfällt, können die Rentiere noch die beiden anderen benutzen, aber das bedeutet auch, dass die Vegetation der beiden verbleibenden Weiden nicht mehr genug Zeit hat, um nachzuwachsen. Folglich hat es nicht mehr genügend Futter und es wird schwierig, die Herde zu ernähren. Bei der Familie habe ich auch ein Kalb gesehen, das unter den Windturbinen vor Stress gestorben ist. Und die Regierung sagt noch immer, die Rentiere könnten doch mit den Windturbinen zusammenleben, doch wir sagen: nein, das können sie wirklich nicht!
Du hörst vermutlich oft das Argument, dass Windparks in Storheia und Roan doch nur ein paar wenige Sámi Familien betreffen, aber so vielen Menschen in Norwegen «grüne» Energie liefern würde. Weshalb ist es zentral, dass die Windkraftanlagen zurückgebaut und das Gebiet renaturiert werden?
Ja, das Argument höre ich oft. Wir sind eine Minderheit in einem kolonialen Staat. Wenn man Zahlen gegen Zahlen ausspielt, werden wir natürlich jedes Mal verlieren. Das Argument ist also völlig bodenlos. Auf Fosen sind es noch sechs Familien und die Südsámi sind auch innerhalb von Sápmi eine Minderheit. Die Rentierzucht spielt eine besondere Rolle in den Südsámi-Gemeinschaften. Sie ist einer der wenigen Bereiche, in denen sie ihre Kultur ausdrücken und die Sprache sprechen können. Wenn das verloren geht, ist das eine wirklich schlechte Nachricht für ganz Sápmi.
Kritische Stimmen sprechen bei der «Grünen Energiewende» auch von einem «Grünen Kolonialismus». Was bedeutet das?
Die Sache mit dem «grünen Kolonialismus» ist die: Sie sagen, dass sie uns mit der «Grünen Energiewende» retten werden, aber so, wie sie es im Moment tun, töten sie uns als Gemeinschaft. Wir haben eine besondere Verbindung zum Land, und wenn sie uns unser Land wegnehmen, werden sie uns töten. Es gibt Fälle, die zeigen, dass in Gegenden, in denen Windturbinen gebaut wurden, die geistige Gesundheit der Indigenen Gemeinschaften abnahm und auch die Selbstmordraten anstiegen.
Es gibt immer noch Leute, die denken, dass wir alle in lávvus leben und primitive Menschen sind. Das liegt wohl auch daran, dass in den norwegischen Schulen noch immer das absolute Minimum über die Geschichte der Sámi gelehrt wird. Ich erinnere mich, als ich zur Schule ging und wir das norwegische Geschichtsbuch aufschlugen, gab es zwei Seiten über die Sámi. Wir hüten Rentiere und wir joiken und leben in lávvus, aber kein Wort über die Kolonialisierung durch Norwegen.
Dieses Jahr kam zwar der Wahrheits- und Versöhnungsbericht über die norwegische Kolonialisierung an den Sámi heraus. Der wird hoffentlich etwas verändern. Andererseits – wie können wir von Versöhnung sprechen, wenn die Rechte der Sámi noch immer missachtet werden?
Mihkkal Hætta ist ein 22-jähriger Sámi Aktivist aus Guovdageaidnu im Norden Norwegens. Er wuchs in einer Familie von Sámi Rentierzüchter:innen auf und ist selbst Rentierhirte. Er ist professioneller Filmemacher und wurde vom Riddu Riđđu Festivàla, einem internationalen Indigenen Festival in Sápmi, zum Jungkünstler des Jahres ernannt. Durch seine Arbeit als Sámi Menschenrechtsaktivist und Filmemacher möchte er die tief verwurzelte Verbindung der Sámi zu ihrem Land deutlich machen und zeigen, dass sie sich selbst als Teil des Landes verstehen.
Interview: Karin Kaufmann
Foto: Ella Marie Hætta Isaksen