04. Juli 2022

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Solidarität und Zusammenhalt trotz russischer Aggression

Genf, Juli 2022: Die indigenen Aktivist:innen Yana Tannagesheva, Tjan Zaotschnaja und Dmitry Berezhkov während der EMRIP-Session in Genf. Foto: René Torres

Bereits vor dem Krieg waren Indigene und Minderheiten starker wirtschaftlicher Ausbeutung und staatlicher Repression ausgesetzt. Jetzt sind russische und ukrainische Indigene überproportional von den Kriegsfolgen betroffen. Das hat mehrere Gründe. Dies zeigte sich anlässlich eines von der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) Schweiz zusammen mit der Exilorganisation «International Committee of Indigenous Peoples of Russia» (ICIPR) organisierten Podiums. Dieses fand am 4. Juli als Side-Event der Session des UN-Expertenmechanismus für die Rechte indigener Völker (EMRIP) in Genf statt. Dabei diskutierten russische Exil-Indigene die Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine auf indigene Gemeinschaften. Der Angriffskrieg des russischen Regimes wurde von allen harsch kritisiert.

Sie schilderten, wie Repressionen gegen indigene Aktivist:innen noch einmal zugenommen haben. Nicht einmal in Genf innerhalb der Mauern der UNO sind die Aktivist:innen vor russischen Aggressionen sicher. Das zeigte ein trauriger Vorfall: Sichtlich gestresst und mit Verspätung kam die bekannte indigene Menschenrechtsaktivistin Yana Tannagesheva an den Side-Event. Als sie kurz zuvor an der grossen UN-Session teilgenommen hatte, war sie von einem Vertreter der russischen Mission in Genf verbal angegriffen worden. Dieser unterbrach sie, beleidigte sie vor versammeltem Plenum und warf ihr die Visitenkarte ins Gesicht, die er kurz zuvor von ihr verlangt hatte. Ähnlich schikanös verhielt sich der russische Offizielle bereits zuvor während der Rede der indigenen Krimtatar:innen. Tannagesheva sprach von einem «grossen Schock», gleichzeitig habe sie die Solidarität anderer Teilnehmer:innen überwältigt. Indigene formten im Sessionssaal einen schützenden Kreis um sie. «Jetzt haben hier alle das wahre Gesicht Russlands gesehen», sagte Tannagesheva. Für sie sei das nicht neu, aber es sei krass, dass Vertreter:innen Russlands sich nicht mal mehr für solche Übergriffe auf internationalem Parkett schämen würden. In Russland sei die Situation schlimm: «Die Menschen haben Angst, sich zu äussern, sie haben Angst um ihre Familien, sogar wenn sie nur auf Zoom sprechen.» Láilá Susanne Vars, Expertin des EMRIP und Sami aus Norwegen, schaltete sich kurz in das Meeting ein und betonte, dass das EMRIP den Vorfall wie auch die gesamte Situation in Russland und der Ukraine ernstnehme. Es sei wichtig, nicht den Mut zu verlieren und weiter die Stimme für Indigene zu erheben. Nur so könnten die Anliegen in die internationale Gemeinschaft getragen werden.

Betroffen vom Ukrainekrieg sind Indigene auch auf eine weitere Weise, wie Dmitry Berezhkov am Side-Event erklärte. Für die marginalisierten Indigenen, die oft in Armut und entlegenen Regionen leben, sei der Eintritt in die russische Armee häufig ein unvermeidbarer Ausweg. Indigene würden unter staatlichem Druck in die Armee gedrängt und müssten so an den Kampfhandlungen teilnehmen. «Die Männer haben sich nicht gemeldet, um in der Ukraine Krieg zu führen und zu sterben», sagte der estnische Aktivist Oliver Loode, der das Podium moderierte. Die auffallend hohen Zahlen gefallener Indigener in der Ukraine seien eine soziale und demografische Katastrophe für die betroffenen Gemeinschaften, ergänzte Berezhkov. Gleichzeitig würde Russland Kriegsverbrechen in der Ukraine indigenen Soldaten zuschreiben, obwohl in jenen Truppen praktisch keine Indigenen dabei gewesen waren. Alle Teilnehmenden verurteilten den russischen Angriffskrieg in der Ukraine deutlich – und solidarisierten sich mit der ukrainischen Bevölkerung gegen die Aggressionen des russischen Regimes.

Der indigene Experte Pavel Sulyandziga zeigte auf, wie der russische Staat indigene Organisationen mit eigenen Leuten unterwandert und legitime Indigenenvertreter:innen denunziert. So versuche der Kreml, mit seiner Propaganda Indigene für den Krieg zu gewinnen. Als Reaktion darauf gründeten Sulyandziga und weitere Teilnehmer:innen des Side-Events die Exilorganisation ICIPR und setzen ihr Engagement aus dem Exil fort.

Trotz des besorgniserregenden Zwischenfalls zeigten sich alle Sprecher:innen kämpferisch. Sie betonten, wie wichtig genau jetzt internationale Solidarität und der Austausch zwischen indigenen Gemeinschaften sei. «Wir müssen gemeinsam für die Wahrheit kämpfen und sie aussprechen, gerade jetzt, wenn die Hoffnung schwindet», sagte der Sami-Aktivist Andrei Danilov, der vor Kurzem ins Exil in Norwegen flüchten musste. Die Runde war sich einig: Man müsse jetzt die staatliche Zensur durchbrechen und Informationen liefern – an die russische Bevölkerung und an peripher lebende indigene Gemeinschaften. Nur so könne der staatlichen Propaganda etwas entgegengesetzt werden – und gezeigt werden, was effektiv passiere.

Das ICIPR und die GfbV führen morgen Dienstag, 5. Juli, gemeinsam einen weiteren Side-Event durch. Bei diesem geht es um die Frage, ob die Berücksichtigung indigener Rechte und deren Mitsprache – beispielsweise bei Rohstoffabbau – unter aktuellen Umständen überhaupt noch möglich sei und wie die Gemeinschaften ihre Rechte verteidigen können.

Online-Side-Event am Dienstag, 05. Juli 2022: The challenges of the implementation of the Free, Prior and Informed Consent in the Russian Federation

Bild:
Genf, Juli 2022: Die indigenen Aktivist:innen Yana Tannagesheva, Tjan Zaotschnaja und Dmitry Berezhkov während der EMRIP-Session in Genf. Foto: René Torres

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