Nara Baré ist die erste weibliche Koordinatorin von Coiab, der «Koordination der indigenen Organisationen des brasilianischen Amazonasgebiets». Sie reiste im Oktober und November 2019 mit einer Delegation durch Europa, um auf die Situation der Indigenen in Brasilien aufmerksam zu machen. Im Interview spricht sie über diese Reise, über ihre indigene Gemeinschaft und die neue Regierung Brasiliens.
Nara Baré, aus welchem Grund hat Ihre Delegation diese Reise angetreten?
Auf unserer Reise «Indigenes Blut: Nicht ein Tropfen mehr» kommen wir mit einem Angebot für den Dialog. Aber wir überbringen auch einen Weckruf an die europäische Gemeinschaft. Diese ganzen Umwelt-Katastrophen und die Genozide, welchen die Indigenen schon seit hunderten von Jahren ausgesetzt sind, haben mit Präsident Bolsonaro drastisch zugenommen. Es ist Zeit, dass das gestoppt wird.
Können Sie uns ein Beispiel geben?
Zum Beispiel das Freihandelsabkommen mit Mercosur. In der jetzigen Form ist es kein gutes Abkommen – für niemanden. Insbesondere aber für uns, die Indigenen und die Umwelt, hat es gravierende Folgen. Die Abkommen dürfen nicht nur auf Regierungsebene ausgehandelt werden, ohne den Einbezug der Gesellschaft, ohne unsere Teilnahme als Betroffene. Zudem ist es ein Abkommen mit einer brasilianischen Regierung, die lügt, Daten manipuliert und nicht zur indigenen Bevölkerung steht.
Wie hat das Leben in Ihrer indigenen Gemeinschaft geändert seit dem Amtsantritt von Bolsonaro?
Meine Gemeinschaft befindet sich im Nordosten des Bundesstaats Amazonien.Diese Region hat weltweit das höchste Vorkommen von Niobium1. Deshalb sind viele Leute aus dem Ausland gekommen. Aber nicht um den Amazonas zu sehen oder um die Indigenen kennen zu lernen. Sie hatten andere Absichten – denn sie wissen um das Potential dieses Metalls. Die Rhetorik der Regierung, wonach der Bergbau uns Reichtum und «Entwicklung» bringt, hat dazu beigetragen, dass es zwischen den Indigenen zu Uneinigkeit kam. Diese Uneinigkeit unter uns ist gefährlich und macht unsere Lage noch bedrohlicher.
Wie haben die Vertreter von Politik und Wirtschaft in Europa auf Ihre Anliegen reagiert?
Es wurde viel geredet – aber konkrete Verpflichtungen will niemand eingehen! Dabei braucht es jetzt konkrete Massnahmen und zwar schnell. Sowohl die Politik als auch die Gesellschaft und die Wirtschaft müssen handeln.
Was können die Leute hier tun, um die Indigenen in Brasilien zu unterstützen?
Wir hoffen sehr, dass Ihr unseren Kampf mittragen werdet! Wir erwarten von den Organisationen, dass sie unsere Botschaft an die Öffentlichkeit bringen. Von den Menschen in der Schweiz erhoffen wir, dass sie ihre Herzen, Ohren und ihren Verstand offen behalten. Unser Kampf geht alle etwas an – unser Anliegen ist das Leben.
Könnten Sie uns erzählen vom Leben in Ihrer indigenen Gemeinschaft?
Unsere Region ist nur schwer zugänglich, unsere Strassen sind die Flüsse. Wenige Gemeinschaften haben beispielsweise Strom, aber das heisst nicht, dass wir arm sind. Im Gegenteil! Die Gemeinschaften sind noch nicht abhängig vom Kapitalismus. Sie leben freier, glücklicher, würde ich sagen. Alles wird geteilt untereinander, wir leben in einer Gemeinschaft und nicht im Individualismus. Mein Zuhause ist dort, in der «terra indígena». Dort sind unsere Familien, unsere Wurzeln. Egal, wo auf dem Planeten wir uns befinden, wir werden immer zurückkehren nach Hause.