Menschen & Geschichten

«Land gehört zu uns, so wie wir zum Land gehören»

Edson Krenak

Wissenschaftler und Indigener Aktivist

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Edson Krenak ist Teil brasilianischer und internationaler Indigener Bewegungen. Er sprach mit uns über den verbleibenden Kolonialismus und macht deutlich, dass es in Zeiten globaler Krisen ein Umdenken braucht: Unternehmen dürfen keine Profite auf Kosten Indigener Gemeinschaften machen, auch nicht im Namen der sogenannten grünen Wirtschaft.

Sie betonen die Bedeutung einer internationalistischen Perspektive für Indigene Bewegungen in Brasilien. Inwiefern ist diese relevant?

Die Probleme der Indigenen Gemeinschaften in Brasilien sind durch wirtschaftliche, kulturelle, politische und soziale Einmischung aus dem Ausland sowie durch das Scheitern des brasilianischen Staates beim Schutz und bei der Gewährleistung ihrer Rechte verursacht. Ich gebe ein Beispiel: Oftmals sind es internationale Kooperationen, die die Abholzung und den Landraub in unseren Territorien und die Bergbauaktivitäten finanzieren, die unsere Landschaften und unsere Umwelt zerstören. Und der Staat, der unseren Schutz garantieren sollte, ist nur eine Art Marionette, die für diese internationalen Konzerne arbeitet. Das zu erkennen ist zentral für den Kampf für die Rechte Indigener Gemeinschaften und gegen den verbleibenden Kolonialismus, der in unsere Gebiete, unser Leben, unsere Körper eindringt.

Was meinen Sie mit verbleibendem Kolonialismus?

Mit dem Kolonialismus entstand eine dominierende utilitaristische Sicht auf den Planeten. Der Planet scheint ein Ort, der ausgebeutet und in Profit umgewandelt werden kann. Das Herzstück dieser Sichtweise ist die Idee des Eigentums. Wenn man etwas besitzt, kann man es nutzen, mit ihm handeln, es kontrollieren oder zerstören und sogar wegwerfen. In dieser Weltanschauung hat alles, auch das Leben, seinen monetären Preis.

Die grüne Transition soll zu einer nachhaltigeren Lebensweise führen – doch Sie kritisieren diese ebenfalls. Können Sie ihre Kritik erklären?

Indigene Gemeinschaft und Minderheiten leiden bereits heute unter der Klimakrise und deren Folgen auf ihren Gebieten. Die grüne Wirtschaft bringt jedoch keine Veränderung: Ihre Ziele stimmen mit der traditionellen kapitalistischen Wirtschaft überein, die das Wachstum über alles andere stellt. Nehmen wir das Beispiel der Elektromobile: Das Ziel der Elektromobilhersteller ist in erster Linie nicht die Beendigung der Nutzung fossiler Brennstoffe. Es ist die Steigerung ihres Profits. Das ist eine schlechte Gleichung. Können wir das als neu und gut bezeichnen, wenn dieselben Grosskonzerne ihren Profit erneut auf Kosten Indigener Gemeinschaften steigern? Es ist besorgniserregend, dass Politiker:innen und die Zivilgesellschaft die Pläne dieser Konzerne verteidigen.

Was wäre für Sie ein gerechter Übergang?

Es braucht ein Umdenken. Reiche Länder können nicht immer weiterwachsen, während so viele Menschen in Armut leben, in Hungersnot, ohne Zugang zu Gerechtigkeit, Nahrung, Wasser, Bildung, grundlegenden Menschenrechten.

Und dann muss das Selbstbestimmungsrecht Indigener Menschen respektiert, aber auch das Indigene Wissen und die Beziehung zu den Territorien unterstützt und verteidigt werden. Denn in der Indigenen Beziehung gehört Land nicht uns. Es gehört zu uns, so wie wir zum Land gehören. Das ändert alles, denn wir können es nicht benutzen, es ist eine Beziehung der Fürsorge. Wir sehen unsere Ressourcen, unserer Nahrungsquelle, unser Wasser, unsere Luft als ein Geschenk an, das wir geniessen und zurückgeben sollten. Das ist eine antikoloniale Art, das Land zu sehen.

Edson Krenak ist Nachfahre der Indigenen Krenak in Brasilien. Er arbeitet seit über 15 Jahren in Brasilien sowie weltweit mit Indigenen Bewegungen. Momentan macht Krenak in Wien ein Doktorat in Rechtsanthropologie: Das Fach vereint zwei Bereiche, die für Indigene Gemeinschaften strategische Bedeutung haben.

Interview: Reta Barfuss
Foto: Daniel Auer

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