Rizwana Ilham kämpft von der Schweiz aus gegen die gewaltsame Unterdrückung der Uigur:innen in Ostturkestan (chin. Xinjiang). Im Interview spricht sie über das Ohnmachtsgefühl der Diaspora und stellt klare Forderungen an die Schweizer Handelspolitik mit China.
Warum engagierst du dich als Präsidentin des Uigurischen Vereins Schweiz?
Mein Engagement wurzelt tief in meiner eigenen Geschichte. Ich fühlte schon immer eine starke Verantwortung, mich für unsere Rechte und den Erhalt unserer Kultur einzusetzen. Aber so richtig angefangen habe ich 2018, als die Existenz der Konzentrationslager publik wurde. Ich konnte tagelang nicht schlafen oder essen und fragte mich: «Wie kann ich hier mein Leben in Freiheit geniessen, während meine Gemeinschaft in Ostturkestan gefoltert und getötet wird?» Ich wusste, dass ich etwas dagegen unternehmen musste.
Was sind die Ziele des Uigurischen Vereins?
Wir möchten vor allem Brücken zwischen der Uigurischen Gemeinschaft und der Schweizer Gesellschaft schlagen und das öffentliche Bewusstsein und die Solidarität für die Uiguren:innen erhöhen. Die Schweiz hat sehr gute Beziehungen zu China, das möchten wir nutzen, um auf eine Verbesserung der Menschenrechtslage in Ostturkestan hinzuwirken. Gleichzeitig wollen wir unsere reiche Kultur erhalten und mit der Welt teilen, denn wir sind mehr als nur ein politisch unterdrücktes Volk.
Was sind die Probleme der Uigurischen Gemeinschaft in der Schweiz?
Eine grosse Herausforderung ist die emotionale Ohnmacht und die Ungewissheit über die Situation unserer Familien in Ostturkestan. Viele kämpfen mit der Trennung und der Angst vor Repressalien gegen ihre Familienangehörigen vor Ort. Gleichzeitig fühlen viele Uigur:innen in der Diaspora auch eine innere Zerrissenheit: Wir wollen uns hier einleben und an die Schweizer Kultur anpassen und trotzdem unsere Uigurische Identität erhalten. Diese unterschiedlichen Welten zusammenzubringen ist nicht einfach, auch weil die Uigurische Gemeinde hier sehr klein und im ganzen Land verteilt ist.
Wo siehst du Hoffnung?
In den letzten Jahren ist das öffentliche Bewusstsein in der Schweiz stark gewachsen. Die Meisten wissen mittlerweile, wer die Uigur:innen sind und dass in Ostturkestan durch Massenüberwachung, willkürliche Verhaftungen, Zwangsarbeit und kulturelle Auslöschung ein Genozid geschieht. Viele kommen auf mich zu und fragen: «Was können wir aktiv tun, um euch zu helfen?» Diese Solidarität gibt mir Kraft und Zuversicht, dass eine Veränderung möglich ist.
Was sind eure Erwartungen an die offizielle Schweiz im Umgang mit China?
Die Schweiz muss China gegenüber mutiger auftreten. Sie ist bekannt für ihre Werte der Menschrechte und Freiheit. Wir erwarten von der offiziellen Schweiz eine Haltung, die von diesen Werten geleitet wird. Ich verstehe, dass die Schweiz ihre gute Beziehung zu China aufrechterhalten möchte, aber wir dürfen nicht über Menschenrechtsverletzungen hinwegschauen.
Was bedeutet das für die anstehende Erneuerung des Freihandelsabkommens?
Die Schweiz muss auf eine Menschenrechtsklausel bestehen, mehr Transparenz von China verlangen und wenn nötig zu Sanktionen greifen. Die finanziell starke Schweiz ist auch für China attraktiv. Zudem wächst Chinas Konkurrenz; viele Länder befinden sich im wirtschaftlichen Aufschwung und bieten sich als alternative Handelspartner. Die Schweiz kann also durchaus politischen Druck ausüben. Das würde auch international ein wichtiges Zeichen setzen.
Rizwana Ilham floh als Kind mit ihrer Familie aus Ostturkestan in die Schweiz. Sie besuchte die Schule in St. Gallen und arbeitete nach Abschluss der BMS im Versicherungs-und Marketingbereich. Seit 2023 ist sie Präsidentin des Uigurischen Vereins Schweiz und engagiert sich ehrenamtlich beim Jugendrotkreuz Zürich.
Interview: Livia Lehmann
Foto: GfbV