Menschen & Geschichten

«Information ist unsere wichtigste Waffe»

Yana Tannagasheva

Aktivistin und Angehörige der Schor

Genf, Juli 2022: Die indigene Aktivistin Yana Tannagesheva während der EMRIP-Session. Foto: René Torres/GfbV Genf, Juli 2022: Die indigene Aktivistin Yana Tannagesheva während der EMRIP-Session. Foto: René Torres/GfbV

Yana Tannagasheva lebte in Südsibirien, bis ein Kohlekonzern das Dorf ihrer Eltern zerstörte und ihr Aktivismus dagegen sie zur Staatsfeindin machte. Die indigene Schor flüchtete vor vier Jahren ins Exil. Von dort aus kämpft die Mitbegründerin einer indigenen Exil-Organisation weiter gegen Russlands Menschenrechtsverletzungen – mit Unterstützung der GfbV.

Interview: Jochen Wolf / Foto: René Torres

Yana Tannagasheva, warum gingen Sie nach Schweden ins Exil?

Ich stamme aus der kohlereichen Kemerowo-Region. Seit vielen Jahren betreiben Konzerne dort Tagebau mit fatalen Folgen für Mensch und Umwelt. 2013 sollte meine indigene Dorfgemeinschaft ihren Besitz verkaufen, um Platz für Kohleabbau zu machen. Weil Einige sich weigerten, wurde das Dorf niedergebrannt. Wir antworteten mit Protesten und einer Beschwerde bei der Uno. Es folgten Drohungen, Beschattung und Verhöre durch russische Sicherheitsbehörden. Ich verlor meinen Job als Lehrerin: Der Direktor sagte, wenn ich bleiben wolle, solle ich schweigen. Die Lage wurde gefährlicher und als sie anfingen, unsere Kinder zu bedrohen, wussten wir: Jetzt müssen wir fliehen.

War es rückblickend richtig, Russland den Rücken zu kehren?

Es war eine sehr schwierige Entscheidung, meine Gemeinschaft und Verwandten mitten im zerstörerischen Kohleabbau zurückzulassen. Dort ist mein Land, das mir meine Vorfahren weitergegeben haben. Meine Seele schreit nach meiner Heimat. Doch ich bin verantwortlich für die Gesundheit und Sicherheit meiner Kinder. Als ich dann hörte, dass mein Sohn – jetzt ist er 17 – ein Aufgebot von der militärischen Rekrutierungsstelle erhalten hatte, war ich sicher, dass unser Schritt richtig war.

Wie geht es Ihnen im schwedischen Exil?

Der Gedanke, dass ich meine Verwandten vielleicht nie mehr sehe, ist sehr hart. Aber ich versuche mich so rasch wie möglich zu integrieren und habe dank der Arbeit rascher Schwedisch gelernt. Heute unterstütze ich in der Integrationsabteilung der Stadtverwaltung ukrainische Flüchtlinge: Ich bin selbst vom Putin-Regime betroffen und will jenen helfen, die vor dem Krieg flüchten.

Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine haben Sie die neue Organisation ICIPR mitgegründet. Wie kam es dazu?

Das International Committee of Indigenous Peoples of Russia besteht aus sieben Personen: Obwohl wir Russland verlassen haben, kämpfen wir für die Rechte jener indigener Gemeinschaften, die in Russland blieben und mit dem Krieg gegen die Ukraine nicht einverstanden sind. Es ist nicht einfach, für die Menschen vor Ort eine Brücke der Hoffnung zu sein. Aber wir versuchen es und hoffen auf Frieden.

Wie kann das ICIPR russischen Indigenen helfen?

Transparente, reale und vertrauenswürdige Information ist heute unsere wichtigste Waffe. Wenige Menschen wissen, was in Russland geschieht. Es ist wichtig, Informationen zu vermitteln und eine Brücke zwischen den indigenen Gemeinschaften in Russland und der weltweiten indigenen Bewegung zu sein. Wir hoffen, dass unsere eigene Erfahrung uns dabei hilft.

Bekommen Sie Gegenwind vom Regime?

Natürlich, es ist so viel Propaganda im Umlauf. Der Staat versucht uns auf dem internationalen Parkett als nicht rechtmässige Vertreter russischer Indigener zu delegitimieren. Es wird behauptet, wir seien in Russland gesuchte und darum geflüchtete Kriminelle, die von der NATO finanziert werden. Doch genau das zeigt, wie wichtig die Gebiete der Arktis, Sibirien und des Fernen Ostens für das russische Regime sind. Mit Hilfe der ehemals sehr geachteten, heute vollkommen vom Regime kontrollierten Indigenenorganisation RAIPON manipuliert es die indigenen Gemeinschaften, nach dem Prinzip «Teile und herrsche». So unterstützt RAIPON sogar den Krieg gegen die Ukraine. Ich hoffe, dass unsere Organisation ICIPR eine laute Stimme für die indigenen Gemeinschaften Russlands werden kann.

Aktivismus aus dem Exil

Als Angehörige der Schoren lebte Yana Tannagasheva (37) im indigenen Dorf Kazas in der südsibirischen Kemerowo- Region. Dieses für die Industrie bedeutende Steinkohlerevier, auch bekannt als Kusnezker Becken, ist vom Tagebau stark verwüstet. Dort unterrichtete Tannagasheva als Russischlehrerin. Vor vier Jahren flüchtete sie wegen staatlicher Repression. Inzwischen lebt sie mit ihrem Ehepartner, einem ehemaligen russischen Lokalpolitiker, und ihren beiden Söhnen im politischen Asyl in Schweden. Die Mitgründerin des Exil-Indigenennetzwerks International Commitee of Indigenous Peoples of Russia (ICIPR) sprach am EMRIP in Genf und arbeitet eng mit der GfbV zusammen.

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