Krieg in der Ukraine, Repression in Russland

Bleiben und schweigen oder Kampf aus dem Exil

Seit die russische Regierung ihren völkerrechtswidrigen Krieg auf ukrainischem Boden begonnen hat, sind die dort lebenden Menschen mit Gewalt, Trauer und Flucht konfrontiert. Doch auch die russische Bevölkerung leidet massiv unter dem autoritären Regime Vladimir Putins.

Foto: Konstantin Lenkov/Shutterstock

Moskau, Ende Februar 2022: Polizisten halten eine Demonstrantin gegen den Krieg fest. Foto: Konstantin Lenkov/Shutterstock Moskau, Ende Februar 2022: Polizisten halten eine Demonstrantin gegen den Krieg fest. Foto: Konstantin Lenkov/Shutterstock

Seit die russische Regierung ihren völkerrechtswidrigen Krieg auf ukrainischem Boden  begonnen hat, sind die dort lebenden Menschen mit Gewalt, Trauer und Flucht konfrontiert.  Doch auch die russische Bevölkerung leidet massiv unter dem autoritären Regime Vladimir Putins. Vor allem Friedens- und Menschenrechtsaktivist:innen sind
mit beispielloser Repression konfrontiert. Wollen sie ihren Einsatz fortsetzen, bleibt meist nur das Exil. Das Durchgreifen der Sicherheitskräfte betrifft auch die GfbV.

Andrei Danilov ist eine von vielen mutigen Stimmen der russischen Zivilgesellschaft. Seit Jahren setzt sich der Sami-Aktivist für politische Mitsprache und die Anerkennung der Lebensweise der arktischen Minderheit ein. Er stammt aus Olenogorsk, eine Stadt östlich der finnisch-russischen Staatsgrenze, inmitten von Sápmi, Heimatregion der über mindestens 80’000 Samen. Sein Engagement für das Recht auf traditionelle Jagd und gegen die Missachtung indigener Rechte durch staatsnahe Rohstoffkonzerne wie Nornickel machten ihn zu einer öffentlichen Figur. Als Mitglied des Kulturkomittees des Sami Council und durch seine  Funktion als Direktor der nordischen Sami Cultural Heritage and Development Foundation ist er zusätzlich politisch exponiert.

Nach dem Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine musste Andrei Danilov sein Zuhause verlassen und nach Norwegen flüchten. Im gegenwärtigen Klima der Angst war seine Sicherheit nicht mehr gewährleistet. Das hat auch Konsequenzen für die GfbV: Zum Schutze ihrer Partner:innen, darunter Danilov, und deren Angehörigen in Russland, entschied sie sich in einer schwierigen Abwägung, alle Inhalte zu russischen Indigenen vorerst von ihren Onlinekanälen zu löschen. Zu gross war das Risiko, mit Fotos und Wortmeldungen der Aktivist:innen deren Existenz zu gefährden.

Eine lange Geschichte der Unterdrückung

Für russische Aktivist:innen wie Andrei Danilov ist die staatliche Repression nicht neu: Seit Jahren sind sie behördlicher Schikane  ausgesetzt, werden willkürlich verhaftet und ihre Tätigkeiten und Kontakte überwacht. Doch wie der russische Staat nun jeglichen Dissens im Keim zu ersticken versucht, das stellt alles Dagewesene in den Schatten. Seit Kriegsbeginn nahm die regierungshörige Duma mehrere Gesetze an. Das Verbot, den Krieg als solchen zu bezeichnen, verunmöglichte jegliche wahrheitsgetreue Berichterstattung. Seit Anfang März drohen ausserdem bis zu 15 Jahre Haft, wenn man staatliche Einrichtungen kritisiert. Seither wurden Tausende von Demonstrierenden verletzt oder weggesperrt. Unabhängige Medien mussten ihre Arbeit einstellen, soziale Medien wurden gesperrt, und etliche Menschenrechtsorganisationen verboten. In der staatlich verordneten Stille hat nur noch Reichweite, was sich mit der erlogenen Propaganda des Kremls deckt. Putin und sein Machtzirkel eskalieren eine Politik der Unterdrückung, mit der man sie in den letzten Jahren stets gewähren liess: Auf Putins Feldzüge seit 1999 reagierten die NATO-nahen Staaten mit symbolischen Sanktionen, hofierten ihn aber weiter als Partner. Zu gross waren die Hoffnungen auf eine  Demokratisierung Russlands und Geschäfte mit dem rohstoffreichen Land.

 

Viele indigene Gemeinschaften leben noch auf sehr traditionelle Weise als nomadische Rentierhirtinnen, Fischer und Jäger. Für sie wird das Leben immer schwieriger. (Foto: Ally Alegra)

Das Leid trägt die Zivilbevölkerung

Angesichts gezielter Tötungen und flächendeckender Bombardements von Zivilist:innen antworteten die westeuropäisch und US-amerikanisch dominierten internationalen Gremien nun mit harten Sanktionen. Dass Putin und staatsnahe Unternehmen nicht mehr umgarnt werden, ist zu begrüssen. Doch am härtesten treffen die Sanktionen die  russische Bevölkerung. Mit dem Ausschluss Russlands aus dem Europarat verschwindet für sie der Zugang zum Europäischen Menschenrechtsgerichtshof. Ein Gericht, dessen Fälle zu 25 Prozent von russischen Staatsangehörigen eingereicht werden. Auch die  Sistierung des «Arctic Council» könnte folgenreich sein. Zwar konzentriert sich die  Institution durch das klimabedingte Abschmelzen der arktischen Eismassen vornehmlich auf geopolitische und wirtschaftliche Interessen. Doch mit ihr und dem Rauswurf aus dem UN-Menschenrechtsrat verschwinden weitere Möglichkeiten, Russland für seine Menschenrechtsverletzungen zur Verantwortung zu ziehen. Pavel Sulyandziga, ein Udege aus der südöstlichsten Ecke Russlands, setzt sich für die bedrohten Indigenen Russlands ein, dies auch in UN-Gremien. Er warnt in einem Interview, dass der mit den Sanktionen einhergehende Einbruch der Wirtschaftsleistung vor allem die in entlegenen Gebieten lebenden indigenen Gemeinschaften trifft. Ausserdem würden ihre Anliegen, bisher schon schändlich missachtet, jetzt vollends von der politischen Agenda verschwinden.

Das Exil als letzter Ausweg

Während Russland seine Stimme in internationalen Gremien verliert, betreibt sein Regime eine besorgniserregende Scharade im Inland. Darauf wiesen indigene Aktivist:innen aus dem Exil, darunter Pavel Sulyandziga und Andrei Danilov, in einem Statement von Mitte März hin. Sie bezichtigten die Leiter der Russian Association of Indigenous Peoples of the North (RAIPON) der Kriegspropaganda im Dienste des Regimes. Auf die Unterwanderung dieser Organisation durch kremlnahe Personen antworten sie mit der Gründung des International Committee of Indigenous Peoples of Russia (ICIPR). Im Rahmen dieser setzen sie ihre Arbeit aus dem Exil fort.

Andrei Danilov, Mitglied des ICIPR, ist durch die Zerstörung in der Ukraine und sein aufgezwungenes Exil tief erschüttert. Doch gerade deshalb wird er nicht müde, in seinen zahlreichen Wortmeldungen zu unterstreichen, dass es wichtiger denn je ist, sich für Menschenrechte in Russland einzusetzen. Dabei werden ihn das norwegische Sami-Parlament, die GfbV und eine hoffentlich nachhaltig erwachte Weltgemeinschaft unterstützen. Denn auch wenn die Lage derzeit kaum einschätzbar ist und sich für die Menschenrechte in Russland stark verdüstert: Das neu erstarkte Bewusstsein der europäischen Öffentlichkeit für den repressiven russischen Staat und eine nie zuvor gesehene Solidarität könnten sich später als Rückenwind für die Menschenrechtsarbeit in Russland herausstellen.

Artikel aus der GfbV-Zeitschrift «Voice», Juni 2022
Text: Jochen Wolf, GfbV-Praktikant Kommunikation

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