Seit Xi Jinping 2012 zum Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chinas ernannt wurde, verschärft sich die Situation für Tibeter:innen und Uigur:innen in China dramatisch. Xi setzt auf eine strenge Assimilierungspolitik, die darauf abzielt, Tibeter:innen und Uigur:innen mit allen Mitteln an die Han-chinesische Mehrheitsgesellschaft anzugleichen.
Die chinesische Regierung geht seit der gewaltsamen Annexion Tibets 1950 mit aller Härte gegen die immer wieder aufflammenden tibetischen Proteste vor. Hundertausende Tibeter:innen wurden in den letzten Jahren aus ihrer herkömmlichen Lebensweise herausgerissen und unter Zwang umgesiedelt, oft unter dem Vorwand der Armutsbekämpfung. Auch im Rahmen von grossangelegten Dammprojekten werden tibetische Menschen enteignet und vertrieben. Wertvolle Kulturgüter werden unter dem Vorwand der Renovation oder mit Verweis auf die Energiewende abgerissen. Wenn sich die lokale Bevölkerung wehrt, schlägt die Regierung brutal zurück und verhängt unter anderem langjährige Haftstrafen. Jegliche Kritik an der chinesischen Besatzung oder öffentliche Bekenntnisse zum Dalai Lama werden strengstens bestraft. Tibetische Schulen wurden systematisch geschlossen und tibetische Familien sind gezwungen, ihre Kinder ab dem Alter von vier Jahren in weit entfernte Internatsschulen zu schicken, wo der Unterricht nur auf Mandarin stattfindet. Diese Generation erhält keine Unterweisung zu tibetischer Geschichte und Kultur, auch während den Schulferien ist Unterricht auf Tibetisch verboten. Somit wird die kulturelle Identität der Tibeter:innen nach und nach ausgelöscht.
Unter Xi Jinping hat sich auch die Unterdrückung der uigurischen Gemeinschaft massiv verschärft: In einer grossangelegten Kampagne wurden über eine Million Uigur:innen, aber auch Mitglieder anderer turksprachiger Gemeinschaften, in sogenannten «Umerziehungslagern» festgehalten. In den Lagern kam es systematisch zu politischer Indoktrinierung, Vergewaltigungen, Zwangssterilisation und Folter. Nach internationalem Druck hat die chinesische Regierung einige dieser Anstalten geschlossen oder in Gefängnisse umgewandelt. Die Situation der Uigur:innen in der Volksrepublik China bleibt aber nach wie vor prekär. Die Strategie der Regierung zielt auch hier darauf ab, langfristig die eigenständige kulturelle Identität der Uigur:innen auszulöschen. Gemäss Schätzungen sollen Millionen Uigur:innen zur Arbeit gezwungen werden. Zwangsarbeit findet etwa in staatlichen Lagersystemen oder Gefängnissen statt, aber unter dem Vorwand der Armutsbekämpfung auch in staatlich organisierten Programmen ausserhalb dieser Anstalten. Dabei gelangen mit hoher Wahrscheinlichkeit auch unter Zwangsarbeit hergestellte Waren auf den europäischen Markt, insbesondere Produkte wie Baumwolle, Tomaten oder Solarpanels.
Schweiz-China: Profit vor Menschenrechten?
Während sich die Menschenrechtslage in der Volksrepublik China immer weiter verschlechtert, baut die Schweiz unbeirrt ihre Handelsbeziehungen zu China aus: So nahm der Bundesrat im Herbst 2024 offiziell erneut Verhandlungen mit der Volksrepublik China auf, um das 2014 in Kraft getretene bilaterale Freihandelsabkommen zu erweitern. Im September 2024 forderte die GfbV mit einer Petition, die von über 14’000 Menschen unterzeichnet wurde, dass die Menschenrechte substanziell miteinbezogen werden. Im bisherigen Vertragstext kommen die Menschenrechte mit keinem Wort vor.
Die Schweizer Regierung verweist bei Kritik an ihrer wirtschaftlichen Annäherung an die Volksrepublik China jeweils auf den Menschenrechtsdialog zwischen den beiden Ländern. Darin sollen angeblich auch kritische Themen besprochen werden. Der Dialog findet aber hinter verschlossenen Türen statt, der genaue Inhalt der Gespräche ist daher nicht öffentlich. Die GfbV hat Fragezeichen zur Wirksamkeit dieser bilateralen Gespräche und fordert daher eine unabhängige Auswertung des Dialogs.
Nicht nur die offizielle Schweiz, auch die hiesige Wirtschaft argumentiert gerne, dass sich die Menschenrechtspolitik der Schweiz gegenüber der Volksrepublik China auf diesen Dialog beschränken und nicht mit den Wirtschaftsbeziehungen vermischt werden solle. Für die GfbV ist aber klar: Die Menschenrechte sind eine notwendige Grundlage für die Wirtschaft. In den Handelsbeziehungen zu einem Regime, das systematisch die Rechte ganzer Bevölkerungsgruppen verletzt, müssen die Menschenrechte verbindlich verankert werden. Nur wenn Menschenrechte in den Wirtschafts- und Handelsbeziehungen einbezogen werden, hat die Schweizer Menschenrechtspolitik ihren Namen verdient.
Tibeter:innen und Uigur:innen in der Schweiz
Während die Handelsbeziehungen zur Volksrepublik China immer enger wurden, finden Tibeter:innen und Uigur:innen in diesem Land zunehmend weniger Gehör für ihre Anliegen. In einem Bericht dokumentierten die GfbV und tibetische Organisationen 2018, wie Grundrechte der Tibeter:innen fünf Jahre nach Inkrafttreten des Freihandelsabkommens mehr und mehr unter Druck kamen. Besorgniserregend sind insbesondere Einschränkungen des Rechts auf freie Meinungsäusserung, des Rechts auf eigene Identität, des Rechts auf Bewegungsfreiheit sowie die Überwachung von Tibeter:innen und Uigur:innen in der Schweiz durch das chinesische Regime.
Die Schweiz beherbergt mit rund 8’000 Tibeter:innen eine der grössten tibetischen Exilgemeinschaften in Europa. Auch mehrere Hundert Uigur:innen leben im Land. Die genaue Zahl beider Gruppen ist jedoch nicht bekannt, da die Schweiz sie mittlerweile alle unter der Herkunftsbezeichnung «Volksrepublik China» aufführt. Bis 2014 war «Tibet» als Herkunftsangabe auf Ausländerausweisen erlaubt, doch seither hat der Bund die Herkunftsbezeichnungen vereinheitlicht. Für viele Betroffene war diese Änderung ein schmerzhafter Eingriff in ihre persönliche Identität, da sie sich nicht als Chines:innen verstehen und ihre Heimat aufgrund der Repression durch die chinesische Regierung verlassen mussten.
Die Herkunftsbezeichnung wirkt sich aber auch auf die Bewegungsfreiheit von Tibeter:innen und Uigur:innen in der Schweiz aus, da sie für die Beschaffung offizieller Dokumente auf die chinesische Botschaft angewiesen sind. Denn die chinesische Regierung nutzt ihre Auslandspräsenz unter anderem auch dazu, um Druck auf Diasporagemeinschaften sowie deren Familienangehörige in der Volksrepublik auszuüben und sie so von China-kritischen Äusserungen in der Schweiz abzuhalten.
Das tut die GfbV
Die Gesellschaft für bedrohte Völker setzt sich gemeinsam mit ihren tibetischen und uigurischen Partnerorganisationen dafür ein, dass die Menschenrechte in der Volksrepublik China endlich eingehalten werden. Zudem dürfen die Rechte der tibetischen und uigurischen Exilgemeinschaft in der Schweiz durch die zunehmend engen wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Schweiz und der Volksrepublik China nicht beschnitten werden: Die Schweiz muss die tibetische und uigurische Exilgemeinschaft vor chinesischer Einflussnahme schützen. Die GfbV engagiert sich für folgende Forderungen:
Einforderung der Menschenrechte in der Chinapolitik
Die Schweiz muss in einer kohärenten Chinapolitik die universellen Menschenrechte auf allen Hierarchieebenen und in allen Angelegenheiten konsequent einfordern. Dies schliesst auch die Wirtschaftspolitik mit der Volksrepublik China mit ein: Menschenrechte müssen auch in bilateralen Wirtschaftsabkommen und -kooperationen festgehalten werden. Menschenrechte, Arbeitsrechte und die Rechte von Minderheiten müssen ausdrücklich Eingang in Verhandlungen und Vertragstexte finden.
Einsatz gegen Transnationale Repression
Die Schweiz muss konkrete Schritte einleiten, damit Angehörige der tibetischen und uigurischen Gemeinschaft in der Schweiz sicher und frei leben können. Sie müssen vor der Überwachung oder Einschüchterung durch chinesische Akteure geschützt werden.
Garantie der freien Meinungsäusserung in der Schweiz
Die Schweiz muss die Meinungsäusserungsfreiheit zur Situation in Tibet und Ostturkestan (chinesisch: Xinjiang) sowie zur Menschenrechtslage in der Volksrepublik China allgemein uneingeschränkt gewährleisten.
Menschenrechtliche Sorgfaltsprüfung
Schweizer Unternehmen müssen bei eigenen Firmen in der Volksrepublik China sowie bei Firmenbeteiligungen, Importen, Exporten und Finanzierungen im Zusammenhang mit der Volksrepublik China eine unabhängige menschenrechtliche Sorgfaltsprüfung durchführen. Weiter müssen sie ihren Einfluss auf Partnerfirmen in der Volksrepublik China nutzen, um sie zur Einhaltung der Menschenrechte zu bewegen. Bei substantiellen Bedenken – etwa bei Verdacht auf Zwangsarbeit – sollen Firmen die Zusammenarbeit beenden, wenn keine Verbesserung erreicht wird.
Einsatz für Menschenrechte auf internationaler Ebene
Die Schweiz muss sich international in einer starken Allianz mit gleichgesinnten Staaten gegenüber der Volksrepublik China proaktiv dafür einsetzen, dass die chinesische Regierung die Menschenrechte einhält, ganz besonders in Bezug auf die Rechte der tibetischen und uigurischen Gemeinschaften.
Erfolge der GfbV
In den letzten Jahren konnte die GfbV gemeinsam mit tibetischen und uigurischen Partner:innen einige Erfolge im Einsatz für die Rechte der Uigur:innen und Tibeter:innen verzeichnen.
2024: 14 000 Menschen fordern: Kein Ausbau des Freihandels ohne Menschenrechte!
Am 18. September überreicht die GfbV gemeinsam mit Campax, dem Verein Tibeter Jugend in Europa, der Gesellschaft Schweizerisch-Tibetische Freundschaft, der Tibeter Gemeinschaft in der Schweiz & Liechtenstein, der Tibetischen Frauenorganisation der Schweiz und dem Uigurischen Verein Schweiz der Bundeskanzlei eine 140,63 Meter lange rote Linie: Jeder Zentimeter steht für eine der 14´063 Unterschriften für die Petition «Rote Linie für die Schweiz: Kein Freihandel mit China ohne Menschenrechte».
2022: Uigurische Überlebende der «Umerziehungslager» legen Zeugnis ab
Auf Einladung der GfbV besuchen die beiden Uigur:innen Gulbahar Jalilova und Gulbahar Haitiwaji die Schweiz. Sie sprechen an mehreren Podien über die Situation der Uigur:innen in Ostturkestan und fordern die Politik und Zivilgesellschaft zum Handeln auf.
2021: Druck auf Nationalrat zeigt Erfolg
Gemeinsam mit der GfbV reichen der Verein Tibeter Jugend Europa und die Gesellschaft Schweizerisch-Tibetische Freundschaft 2018 eine Petition ein: Sie fordern mehr Schutz für hiesige Tibeter:innen vor der Einflussnahme der chinesischen Regierung. Der Nationalrat kommt dem Anliegen nach: 2021 fordert er den Bundesrat dazu auf, einen Bericht zur Situation der Tibeter:innen und Uigur:innen in der Schweiz zu erstellen und endlich den bilateralen Menschenrechtsdialog mit der Volksrepublik China zu evaluieren.
2020: Uigur:innen, Campax und GfbV reichen Petition ein
Gemeinsam mit über 23’000 Unterzeichnenden überreichen der Uigurische Verein Schweiz, Campax und die GfbV dem Bundesrat eine Petition zur Neuverhandlung des Freihandelsabkommens mit China.