Menschen & Geschichten

«Ohne die Vielfalt an verschiedenen Minderheiten ist unsere Erde nichts»

Tjan Zaotschnaja

Vermittlerin und Menschenrechtsaktivistin

Tjan Zaotschnaja Indigene aus Russland Tjan Zaotschnaja Indigene aus Russland

Tjan Zaotschnaja wuchs auf der russischen Halbinsel Kamtschatka in einer indigenen Jägerfamilie auf. Die Angehörige der Itelmenen engagierte sich für Menschenrechte in der ehemaligen Sowjetunion, bis sie 1980 vom Staat ausgewiesen wurde und nach Deutschland kam. Seither vermittelt die 70-Jährige zwischen Indigenen Russlands und Menschenrechtsaktivistinnen und -aktivisten im deutschsprachigen Raum.

Tjan Zaotschanja, Sie beobachten die Situation der Indigenen Russlands seit über 40 Jahren. Wie hat sich die Situation entwickelt?

Eine Entwicklung hat mich ganz besonders gefreut: Seit etwa zehn Jahren sehe ich gerade bei kleinen Gemeinschaften eine wachsende Bemühung, die eigene Sprache zu erhalten. Die ältere Generation übermittelt der jüngeren ihr Wissen und ihre traditionelle Lebensweise und sie arbeiten auch mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zusammen. Das gibt den Indigenen Kraft und Mut, etwas Neues zu beginnen und sich weiterzuentwickeln.

Kraft und Mut – zwei Ressourcen, die Indigene in Russland ganz besonders dringend brauchen.

Ja, viele haben Angst, an die Öffentlichkeit zu gehen. Nur wenige sind bereit, für ihre Rechte politisch zu kämpfen. Jahrelang haben sich die indigenen Gemeinschaften an RAIPON orientiert, dem Dachverband für sibirische Indigene. Dann wurde dieser durch die regierungsnahe Partei gespaltet. Das hat eine tiefe Verunsicherung unter den Gemeinschaften ausgelöst. Indigene Gemeinschaften erleben zwar, dass ihre Rechte immer mehr eingeschränkt und verletzt werden. Doch sie sind unsicher, an wen sie sich bei Schwierigkeiten wenden können.

Was ist die Besonderheit von indigenen Gemeinschaften in Russland?

Im Vergleich zu anderen Völkern sind die indigenen Gemeinschaften in Russland zahlenmässig klein und sehr verstreut. Deshalb ist die Kommunikation innerhalb einer Gruppe sehr schwierig. Das erschwert den Kampf um ihre Rechte enorm.

Wie können sie am besten unterstützt werden?

Im hohen Norden gibt es sehr viele Mineralien wie Erdöl, Erdgas und Steinkohle, Nickel und seltene Rohstoffe. Die Regierung fördert den Ressourcenabbau stark, ohne die Rechte der Indigenen zu schützen. Auch ausländische Firmen investieren in russische Rohstoffunternehmen. Deshalb ist es wichtig, dass wir Druck auf solche Firmen ausüben, indem wir über die Lage der Indigenen in Russland informieren. Darin sehe ich meine Mission.

Tjan Zaotschnaja macht auf die Menschenrechtssituation in Russland aufmerksam. Hier an einer Standaktion der GfbV-Deutschland in München.

Wie sieht Ihr Engagement konkret aus?

Ich verstehe mich als Vermittlerin zwischen den Indigenen in Russland und Aktivistinnen und Aktivisten im deutschsprachigen Raum. Ich möchte einerseits über Menschenrechtsverletzungen informieren, aber auch die Kulturen der Indigenen bekannter machen. Als ich 1980 nach Deutschland kam, dachten die Leute dort, es gebe nur Russen und Kasachen. Das hat mir den Anstoss gegeben, ihnen die Vielfalt der russischen Völker näher zu bringen und auch von den sehr kleinen Gemeinschaften zu erzählen. Ohne die Vielfalt an verschiedenen Minderheiten, auch kleinsten Ethnien, ist unsere Erde nichts – sie braucht sie alle.

Kann Ihr Engagement für Sie gefährlich werden?

Für mich persönlich nicht, ich bin ja keine Whistleblowerin, sondern eine Brückenbauerin. Aber als ich 2014 zuletzt nach Kamtschatka reiste, war ich entsetzt: Einige Leute, mit denen ich in Projekten zusammengearbeitet hatte, verhielten sich so, als ob sie mich nicht kannten. Kurz vor der Abreise erklärten mir dann zwei Personen, dass sie vom Geheimdienst über unsere Gespräche ausgefragt werden, sobald ich wegfahre. Ich weiss aus der Zeit als Dissidentin in der Sowjetunion, dass es für in Russland lebende Menschen gefährlich sein kann, über gewisse Dinge zu sprechen.

Was macht Ihnen Hoffnung?

Hoffnung sehe ich, wenn wir alle zusammenhalten. Wir können uns mit den indigenen Gemeinschaften solidarisieren und ihnen zeigen, dass sie in ihrem Kampf nicht alleine sind. Ein Beispiel: In Deutschland wehren sich Bürgerinnen und Bürger gegen Zwangsumsiedlung aufgrund vom Kohleabbau unter dem Motto: «Alle Dörfer bleiben!». Parallel setzen sich Indigene in Südsibirien mit einem ähnlichen Motto für ihre Landrechte ein. Denn das Jagen, Fischen und Sammeln ist lebenswichtig für viele Gemeinschaften.

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