Arvid Jåma mag pensioniert sein, aber zur Ruhe gesetzt hat sich der 69-Jährige nicht. Der Südsami kämpft unermüdlich für das Fortbestehen seiner Kultur. Als eine der Letzten der Region betreibt seine Familie die traditionelle Rentierzucht. Dieses Erbe wird jedoch von einem Windfarm-Projekt bedroht.
Wenn Arvid Jåma von dem Kampf berichtet, den seine Familie seit fünf Jahren bestreitet, erzählt sein Gesicht von der ermüdenden Anstrengung. Doch in seinen Augen funkelt noch immer das Feuer der Leidenschaft, die weiter Kraft spendet, nicht aufzugeben. Denn in dem 69-Jährigen lebt die Überzeugung, dass seine Kultur den Kampf wert ist. Auch seine Enkel sollen noch erleben dürfen, wie es sich anfühlt, ein Sami zu sein.

Sami Löffel
Seit dem 16. Jahrhundert betreibt Arvids Familienzweig die Rentierzucht im mittleren Westen Norwegens. Sie ist das traditionelle Gewerbe der Sami, des indigenen Volkes Skandinaviens. Ursprünglich lebten die Sami nomadisch in einem Gebiet, das sie Sapmi nennen und das sich über Norwegen, Schweden, Finnland und Westrussland erstreckt. Die Grenzziehung der Staaten zwang die Völker zur Sesshaftigkeit, wodurch sich angestammte Rentier-Weidegebiete der Züchterfamilien, der Sijtes, entwickelten.
Im Rhythmus der Natur
Bis in die 1960er-Jahre erlebten die Sami massive staatliche und gesellschaftliche Unterdrückung und Diskriminierung, die der ursprünglichen Kultur stark zusetzten. Im Zuge einer Zwangs-Assimilierung wurde etwa Sami-Kindern das Sprechen ihrer Muttersprache an Schulen verboten. Als Folge davon kann auch Arvid kaum Samisch. Doch seine Sami-Identität lebt in der Rentierzucht, von der er jedes Detail kennt. «Sie ist das Herz der Sami-Kultur», hält der pensionierte Züchter fest. Sie ist ein Lebensstil. Auch wenn sich dieser im Laufe der Zeit stark modernisiert hat, bleiben viele Elemente traditionell, da sie vom natürlichen Rhythmus der Wildtiere bestimmt werden. Auch heute noch ziehen die Herden je nach Jahreszeit umher. Nachdem im Frühjahr die Kälber geboren werden, komme Anfangs Sommer jeweils die ganze Familie zusammen und helfe mit: «Drei Wochen leben wir im Gelände in Tipis, um die Jungtiere zu markieren und zu hüten. Es ist die schönste Zeit des Jahres.»

Doch seit 2013 lebt Arvids Familie mit der Existenzangst. Auf Storheia, der wichtigsten Winterweide der Sijte, soll eine Windfarm entstehen, als Teil der grössten On-Shore-Anlage Norwegens. Ein Schock für die Jåmas, eine der letzten Südsami-Familien, die von der Rentierzucht leben. Für den Bau müsste die Familie das Gelände aufgeben – und damit ihre ganze Lebensgrundlage. Der Verlust des Landes würde sie zu einer Reduktion der Herdengrösse zwingen: «Mit weniger Tieren lässt sich der Lebensunterhalt einer Familie aber nicht mehr bestreiten.»
Das Herz muss weiterschlagen dürfen
Für Arvid und seine Familie kommt nicht in Frage, sich ihre Tradition und Kultur nehmen zu lassen. Pro forma wurden sie von den Projektverantwortlichen konsultiert – ohne Wirkung. «Wir können etwas sagen, sie machen dennoch etwas anderes», musste Arvid feststellen. So organisierte er zu Baubeginn Proteste – sie blieben klein, wie die Südsami-Gemeinschaft sie ist. So nimmt Arvid schliesslich sogar den Weg vors Gericht auf sich. Er selbst ist pensioniert und nicht mehr von der Zucht abhängig. Sein Sohn Tom hat die Herde inzwischen übernommen. Und auch dessen zwei Cousins, Leif und John, leben vom traditionellen Gewerbe.
Entschlossen, zu kämpfen
Doch es geht um mehr als Arbeit: Es geht um Identität. Die Generation von Arvids Kindern und Neffen hat ein wiedererstarktes Interesse an ihrer Herkunft und ist mit Stolz Sami. Johns Tochter Maja ist Lehrerin für Südsamisch und engagiert sich als Aktivistin für den Erhalt ihrer Kultur. Sie sind als Kinder noch inmitten der Rentierzucht aufgewachsen. Diese Möglichkeit will Arvid auch seinen Enkeln erhalten. «Es ist nicht leicht, in Norwegen Rentierzüchter zu sein», weiss Arvid. Dennoch würden sich die Jungen dafür interessieren. Die Unsicherheit um die Zukunft des Weidelandes erschwert es den jungen Sami, ihren Wunsch aufrecht zu erhalten, die Tradition weiterzuverfolgen. Doch sie sind entschlossen, dafür zu kämpfen – weil auch ihre Kinder eine Sami-Kultur verdienen, die lebt.
Und so geht der Kampf der Sami in eine nächste Runde. Die GfbV hat es Leif und Maja Kristine Jåma ermöglicht, in die Schweiz zu reisen. Denn unter den Investoren des Windfarm-Projektes sind die Grossbank Credit Suisse und der Berner Energiekonzern BKW. (erfahre hier mehr, wie sich die Geschichte seit der Erstpublikation dieses Porträts weiterentwickelt hat) In einem persönlichen Gespräch will die Südsami-Delegation den Verantwortlichen erklären, weshalb das bedrohte Land für ihre Kultur von grosser Bedeutung ist und sie inständig darum bitten, den geplanten Bau zu stoppen.
«Being a reindeer herder is the biggest part of my identity as a Sami. We have to keep fighting for our culture, even though the odds are against us.»

Maja Jåma, Sami-Aktivistin