Überwachung, Bespitzelung, Einschränkung der Meinungsäusserungsfreiheit: Der lange Arm der chinesischen Regierung reicht bis in die Schweiz. Mit einer Petition machte die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) bereits 2018 auf dieses Problem aufmerksam. Jetzt bestätigt ein vom Parlament beauftragter Bericht des Bundesrates: Tibeter:innen und Uigur:innen sind in der Schweiz unzureichend vor Transnationaler Repression geschützt. Es braucht nun dringend Massnahmen, um Diaspora-Gemeinschaften besser vor Überwachung und Repression durch ausländische Akteur:innen zu bewahren.
Es ist alarmierend, dass es der Volksrepublik China auf Schweizer Boden gelingt, Druck auf Diasporagemeinschaften auszuüben und dass sie etwa versucht, Menschen vom Demonstrieren abzuhalten. Das untergräbt die Verpflichtung der Schweiz, ihre Einwohner:innen vor Repression zu schützen. Der Bundesrat hat am 12. Februar 2025 einen jahrelang erwarteten Bericht zur Situation der tibetischen und uigurischen Diaspora veröffentlicht. Der Bundesrat bestätigt darin, dass sich die Menschenrechtslage in der Volksrepublik China (VRC) in den letzten Jahren massiv verschlechtert hat und dass Tibeter:innen und Uigur:innen in der Schweiz von transnationaler Repression betroffen sind. Die Grundlage des Bundesrats-Berichts bildet eine vom Bundesamt für Justiz und Staatssekretariat für Migration angeforderte Studie der Universtität Basel, die aufzeigt, wie tibetische und uigurische Gemeinschaftsmitglieder in der Schweiz systematisch von Akteur:innen der VRC überwacht, bedroht und verfolgt werden und welche einschränkenden Folgen das für Betroffene hat.
Die GfbV und ihrer Partnerorganisationen weisen seit 2018 auf das Problem hin. Die Schweiz muss endlich handeln: Die betroffenen Gemeinschaften müssen besser geschützt, Fälle systematisch dokumentiert und die Behörden im Umgang mit Betroffenen geschult werden, fordert die GfbV.
Bedrohung durch Transnationale Repression
Der Nachrichtendienst des Bundes bestätigt in seinem Lagebericht 2023, dass die Bedrohung durch chinesische Spione weiterhin hoch bleibe und nennt explizit auch die Bedrohung von Exilgemeinschaften durch transnationale Repression. Die Schweiz unternimmt zu wenig dagegen: Die GfbV stellt fest, dass im Zuge der engeren wirtschaftlichen Beziehungen mit China die Unterstützung der Schweizer Behörden gegenüber der hiesigen tibetischen und uigurischen Gemeinschaft merklich abgenommen hat. Schon 2018 zeigt die GfbV in einem Bericht, dass Tibeter:innen in der Schweiz zunehmend von chinesischer Überwachung betroffen sind, und dass ihre Meinungsäusserungsfreiheit eingeschränkt wird. Die GfbV fordert, dass die Schweiz ihre Bürger:innen schützt, gegenüber der Volksrepublik China eine klare Position vertritt und das bestehende Freihandelsabkommen mit China nur mit explizitem Einbezug der Menschenrechte erweitert.
Migmar Dolma wurde in Basel von einem chinesischen Botschaftsmitarbeiter angegriffen. Sie ist kein Einzelfall: Transnationale Repression durch die Volksrepublik China gegen in der Schweiz lebende Tibter:innen und Uigur:innen ist ein grosses Problem.
Der lange Arm Chinas
Fakt ist: Die Volksrepublik China übt in der Schweiz über verschiedene Kanäle Einfluss aus, um Angehörige der tibetischen und uigurischen Gemeinschaft zu instrumentalisieren und unter Druck zu setzen. Für die Kommunistische Partei Chinas und Staatschef Xi Jinping hat der Erhalt der inneren Stabilität und der Machterhalt der Partei oberste Priorität. Die Selbstbestimmung und kulturelle Identität der Tibeter:innen und Uigur:innen sind in den Augen der chinesischen Regierung eine besonders grosse Bedrohung. Darum überwacht und unterdrückt das chinesische Regime Kritik und politische Aktivitäten dieser Gemeinschaften nicht nur im Inland, sondern auch im Ausland – bis in die Schweiz.
Diese Transnationale Repression kann sich unterschiedlich äussern: Drohanrufe aus China mit der Aufforderung, die eigene Gemeinschaft zu bespitzeln oder dem Hinweis auf die Sicherheit von Familienmitgliedern, die noch in der Volksrepublik China leben. Oder mutmassliche Vertreter:innen der chinesischen Botschaft, die gut sichtbar china-kritische Demonstrant:innen fotografieren und mit diesem Material versuchen, Tibeter:innen und Uigur:innen vor öffentlicher Kritik abzuhalten.
Klima der Angst
Erst wenn man solche Einzelfälle in der Summe betrachtet, wird das Ausmass des Problems sichtbar: Der Einfluss der chinesischen Regierung ist hierzulande mittlerweile so gross, dass in der tibetischen und uigurischen Gemeinschaft ein Klima der Angst herrscht. Die Sorge um die Sicherheit der Familienangehörigen in China führt dazu, dass sich Tibeter:innen und Uigur:innen auch in der Schweiz zensieren lassen oder den Kontakt zu den Familienangehörigen in der Volksrepublik China vorsorglich abbrechen, um diese nicht in Gefahr zu bringen. Nicht wenige wagen deshalb auch nicht mehr, an Demonstrationen teilzunehmen oder mit Namen in den Medien zitiert zu werden.
Wie berechtigt diese Sorge ist, zeigt der Fall der nach Frankreich geflüchteten Uigurin Gulbahar Haitiwaji: Die Überlebende der sogenannten chinesischen „Umerziehungslager“ erzählte 2022 bei ihrem durch die GfbV organisierten Besuch in der Schweiz, was zu ihrer Inhaftierung geführt hatte: Ein einziges Foto, auf dem ihre Tochter an einer uigurischen Demonstration in Paris zu sehen war. Diese Geschichte zeigt exemplarisch, wie die Ausübung ihrer Rechte für Tibeter:innen und Uigur:innen schlimme Konsequenzen haben können.
Vom Einzelfall zum Muster: Wie Betroffene von China ausspioniert und bedroht werden
«Die Kommunistische Partei setzt seit über 30 Jahren alle möglichen Mittel ein, um mich nach China zurückzuholen, meine Dienste als Spion zu kaufen oder mich zum Schweigen zu bringen»: Blick-Artikel über den Uiguren Kerim Sharif
Der buddhistische Mönch und Menschenrechtsaktivist Golog Jigme lebt seit Januar 2015 als politischer Flüchtling in der Schweiz. Im NZZ-Artikel erzählt er, warum er sich überwacht fühlt.
Was eine Petition auslöste
Der neue Bericht des Bundes zur Situation der tibetischen und uigurischen Diaspora in der Schweiz hat seinen Ursprung in einer an den Bundesrat und das Parlament gerichteten Petition, welche Tibet-Organisationen und die GfbV im September 2018 einreichten. Auf diese Petition bezogen sich anschliessend zwei Postulate der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrats (AKP-NR): Die Kommission forderte eine Evaluierung des Menschenrechtsdialogs mit China sowie einen detaillierten Bericht zur Situation der Tibeter:innen in der Schweiz. Später wurde der Auftrag auf die uigurische Gemeinschaft in der Schweiz ausgeweitet.
Menschenrechtslage in der Volksrepublik China
Bundesrat bestätigt Verschlechterung
Der Bundesrat bestätigt in seinem Bericht, dass sich die Menschenrechtslage in der Volksrepublik China (VRC) in den letzten Jahren massiv verschlechtert hat. Es fand eine Zentralisierung der politischen Macht statt und die gesellschaftliche Kontrolle und die Repression im Innern wurden verstärkt. In Bezug auf die tibetischen und uigurischen Gemeinschaften in der VRC wird festgestellt, dass die Gemeinschaften übergriffigen Sicherheitskontrollen und einer Politik der Umerziehung, Sinisierung und Indoktrinierung unterworfen sind. Überwachung, Einschränkung der Meinungsfreiheit und Unterdrückung von Kultur und Religion gehören zum Alltag.
Menschenrechtsverletzungen in Ostturkestan (chinesisch: Xinjiang)
Der Bundesrat zitiert weiter einen Bericht der UNO, der die Lage in Xinjiang als äusserst ernst beschreibt. Gemäss dem Bericht verfolgen die chinesischen Behörden seit mehreren Jahren eine umfassende Politik der Internierung, Zwangsarbeit und Zwangsumsiedlung gegenüber den Uigur:innen. Dabei kommt es zu massiven Menschenrechtsverletzungen wie systematische Freiheitsberaubung, Eingriffe in Privatsphäre und Bewegungsfreiheit, Überwachung, Einschränkung der Religionsfreiheit, Umerziehung, Folter und Zwangssterilisationen. Es wird ausserdem von einer Zunahme von Verhaftungen und Verurteilungen zu langjährigen Haftstrafen in Xinjiang berichtet.
Einordnung der GfbV
Die GfbV begrüsst, dass der Bundesrat die Menschenrechtsverletzungen gegen die tibetischen und uigurischen Gemeinschaften in der VRC anerkennt und klar benennt. Es ist daher unverständlich, dass die Schweizer Regierung mit der Volksrepublik China über eine Erweiterung des Freihandelsabkommens verhandelt, welches die Menschenrechte mit keinem Wort erwähnt. Die Schweiz steht in der Pflicht, die Menschenrechte in all ihrem Handeln zu schützen. In den Wirtschaftsbeziehungen zur Volkrepublik China kommt dieser Schutzpflicht besondere Bedeutung zu. Für die GfbV ist klar: Menschenrechte kommen vor Profit!
Transnationale Repression in der Schweiz
Studie bestätigt transnationale Repression
Der Bericht des Bundesrates bestätigt, dass Transnationale Repression auf schweizerischem Staatsgebiet tatsächlich stattfindet. Er basiert auf einer Studie der Uni Basel, die vom Bundesamt für Justiz und dem Staatssekretariat für Migration in Auftrag gegeben wurde und auf eine Petition der GfbV zurückgeht. Die Studie zeigt detailliert auf, welche Formen von Transnationaler Repression (TNR) in der Schweiz ausgeübt werden. Dazu gehören: Flüchtlingsspionage, Kooptierung, Repatriierung zwischen Druck und Zwang, Drucknachrichten, Beobachten und Fotografieren, Überwachung der Kommunikation, Cyberattacken, und sogar leichte physische Gewaltanwendung. Der Bundesratsbericht fokussiert dann aber zu einseitig auf die beiden Repressionsarten Spionage und Kooptierung innerhalb der tibetischen und uigurischen Diaspora. Das ist problematisch, denn es kann in verkürzter Form dazu führen, dass das Problem nicht mehr beim chinesischen Staat verortet wird, sondern bei den Tibeter:innen und Uigur:innen, die sich – oft unter starkem Druck – kooptieren lassen.Es findet eine Art Opfer-Täter:innen-Umkehr statt. Die GfbV hält fest: Verantwortlich für Transnationale Repression ist der chinesische Staat.
Bedrohung für den Schweizer Rechtsstaat
Im Bundesratsbericht wird deutlich, dass Transnationale Repression nicht nur für die betroffenen Personen und Gemeinschaften ein Problem darstellt, sondern langfristig die Grundrechte, den Schweizer Rechtsstaat und die internationale rechtsbasierte Ordnung in Frage stellt. Wenn Tibeter:innen und Uigur:innen in der Schweiz um ihre oder die Sicherheit ihrer Angehörigen in China fürchten müssen und sie deshalb ihre demokratischen Grundrechte wie Meinungsäusserungs- oder Versammlungsfreiheit nicht mehr wahrnehmen können, wenn tibetische und uigurische Vereine und verbündete NGOs in der Schweiz Überwachung und Cyberattacken durch den chinesischen Staat ausgesetzt sind, wenn Schweizer Behörden von chinesischer Seite unter Druck gesetzt werden, bestimmte Veranstaltungen und Demos nicht zu bewilligen – dann wird klar: Transnationale Repression ist ein Problem für uns alle, und der Bundesrat muss dringend handeln!
Dies sind die Forderungen der Gesellschaft für bedrohte Völker:
- Definition: Die Schweiz soll auf nationaler, möglicherweise sogar gesetzlicher Ebene eine Definition des Phänomens «Transnationale Repression» verankern, um eine Sensibilisierung für das komplexe Problem zu schaffen und den Weg zu ebnen, behördlich dagegen vorzugehen.
- Gesetzliche Massnahmen: Die Schweiz muss eine klare Definition von Transnationaler Repression verabschieden und entsprechende rechtliche Grundlagen schaffen, um sie wirksam zu bekämpfen. Denn im rechtlichen Graubereich entfaltet die Transnationale Repression ihre Wirkung. Der Bundesrat muss strafrechtlich relevante Delikte gegen Uigur:innen und Tibeter:innen verfolgen und Instrumente schaffen um Einschränkungen der Grundrechte effektiv zu bekämpfen!
- Fälle sammeln: Die GfbV fordert eine systematische Dokumentation von Fällen. Jeder Fall muss registriert werden, ob er nun strafrechtlich relevant ist oder nicht. Dazu braucht es Beratungs-, Melde- und Schutzstellen für Betroffene sowie eine Sensibilisierung und Schulung der Behörden, die am ehesten in Kontakt kommen mit Betroffenen.
- Asyl und Schutzstatus: Es braucht einfachere Asylverfahren für gefährdete Personen und Unterstützung bei deren Integration. Ihre isolierte und prekäre Lage während eines langwierigen Asylprozesses macht sie besonders gefährdet für grenzüberschreitende Einschüchterungsversuche.
- Einbezug der Betroffenen: Die Stimmen von Tibeter:innen und Uigur:innen müssen in den politischen Entscheidungsprozessen gehört und gestärkt werden. Es braucht konkrete Massnahmen, die auf ihre Lebensrealität eingehen und im Alltag einfach umzusetzen sind. Das gilt zum Beispiel für die Beschaffung von Reisedokumenten oder Prozesse im Asylbereich.
- Schulung in digitaler Sicherheit: Es braucht Schulungen für Menschenrechtsverteidiger:innen und -aktivist:innen, um sie über digitale Sicherheitspraktiken aufzuklären und sie vor Überwachung zu schützen.
- Ausbildung: Es braucht Schulungen von Polizei und anderen Beamt:innen (etwa beim SEM), die am ehesten mit Betroffenen von Transnationaler Repression in Berührung kommen. Zudem müssen potentielle Opfer über ihre Möglichkeiten aufgeklärt zu werden, wie sie sich effektiv wehren können und wo sie Unterstützung erhalten können.
- Spione ausweisen: Die Schweiz muss öffentlich klarstellen, dass sie Transnationale Repression nicht toleriert. Enttarnte Akteur:innen der (chinesischen) Regierung, welche die Diaspora hierzulande unter Druck setzen, müssen konsequent ausgewiesen werden.
- Diplomatischer Druck: Die Schweiz muss sowohl durch öffentliche als auch diplomatische Bemühungen Urheber-Staaten von transnationaler Repression dazu aufrufen, Druckausübung auf Diaspora-Gemeinschaften in der Schweiz zu unterlassen. Das Versprechen des Bundesrates, Transnationale Repression im Menschenrechtsdialog abzuhandeln, ist völlig unzureichend. Dieser Austausch hinter verschlossenen Türen ist ineffektiv und dient als Feigenblatt, um Menschenrechte aus den wichtigen Verhandlungen auszuklammern.
- Internationale Zusammenarbeit: Die Schweiz sollte sich an „Best Practices“ anderer Länder wie den USA, Kanada, Schweden oder Deutschland orientieren und sich internationalen Bemühungen gegen Transnationale Repression anschliessen. Denn, transnationale Repression existiert laut der vom Bundesrat beauftragten Studie in allen Ländern, in denen sich tibetische und uigurische Gemeinschaften aufhalten.
- Freihandel mit China: Die Aussenpolitische Kommission des Nationalrates hat im August 2024 gefordert, dass die Erkenntnisse aus dem Bericht in die Verhandlungen über das Freihandelsabkommen einfliessen sollen. Ohne substanziellen Einbezug der Menschenrechte darf die Schweiz das Freihandelsabkommen mit der Volksrepublik China nicht erweitern.