Während über 15 Jahren kämpften Rentierzüchter:innen der Indigenen Saami gegen die Windturbinen auf den Gebieten Storheia und Roan auf der Fosen-Halbinsel, die Teile des Winterweidelands ihrer Rentiere zerstören. Das riesige Windpark-Projekt wurde auch durch massgebliche Beteiligung der beiden Schweizer Firmen BKW Energie AG und Energy Infrastructure Partners ermöglicht. Gemeinsam mit den betroffenen Gemeinschaften forderte die GfbV den Rückbau und die Renaturierung der Region. Nach langen Verhandlungen zwischen den Rentierzüchter:innen, den Betreiberfirmen und dem Norwegischen Staat kam es zu einer Einigung.
In Mittelnorwegen auf der Fosen-Halbinsel steht eine der grössten Onshore-Windkraftanlagen Europas. Während über 15 Jahren kämpfen Rentierzüchter:innen der Indigenen Saami gegen die Windturbinen auf den Gebieten Storheia und Roan, die Teile des Winterweidelands ihrer Rentiere zerstören. Die halb-nomadische Rentierzucht ist ein fundamentaler Bestandteil der Saamischen Kultur, durch sie wird Indigenes Wissen und Sprache an die nächsten Generationen weitervermittelt. Die Weiden in diesen Gebieten waren besonders wertvoll. Allein auf Storheia im Süden befanden sich über 40 Prozent der gesamten Winterweideflächen. Wegen der Windparks sind die Gebiete Storheia und Roan (im Norden) für die Rentierzucht verloren: Die Rentiere werden durch die lärmenden und Schatten werfenden Rotoren abgeschreckt und kilometerlange Strassen zerschneiden ihre Wanderrouten.Die Windkraftanlagen auf der Fosen-Halbinsel bedrohen die Rentierzucht der dort ansässigen Südsaami – und damit ihr kulturelles Überleben. Die GfbV unterstützte die betroffenen Gemeinschaften in ihrer Forderung für einen Rückbau und die Renaturierung der Region.2013 reichten Rentierzüchter:innen beim norwegischen Ministerium für Erdöl und Energie Klage gegen die Anlage auf Indigenem Land ein. Das Ministerium lehnte die Klage ab, und so wurde sie an den Obersten Gerichtshof von Norwegen weitergezogen. Dort wurde 2021 ein sensationelles Gerichtsurteil zugunsten der Saami gefällt. Darin erklärte das Gericht die insgesamt 151 Windturbinen in Storheia, die auf Indigenem Land stehen, für illegal und gab den betroffenen Südaami recht darin, dass die Anlage ihr Recht auf Kultur gemäss Artikel 27 des internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte der Uno verletze. Das Urteil schafft einen Präzedenzfall in Norwegen und beeinflusst dadurch weitere Windkraftanlagen als auch Rohstoffprojekte auf Rentierzuchtgebieten.
Doch obwohl das erwähnte Urteil des Obersten Gerichtshof den Südsaami Recht gibt, läuft die grösste Windfarm Europas weiter. 500 Tage nach dem Gerichtsurteil besetzten Sámi- und Klimaaktivist:innen den Platz vor dem Büro des norwegischen Premierministers Jonas Gahr Støre. Die Aktivist:innen – auch Greta Thunberg besuchte den Protest – betonten, dass die Wende zu «grüner» Energie nicht auf Kosten von Indigenenrechten umgesetzt werden dürfe. Einer der Slogans lautete: «Respect existence or expect resistance» (Respektiert Existenz oder erwartet Widerstand). Die norwegische Regierung hat sich seither entschuldigt und versprochen, die Suche nach Lösungen zur Umsetzung des Urteils zu beschleunigen, wobei die Rentierzüchter:innen aktiv an der Suche nach diesen Lösungen beteiligt werden sollen. Die Sámi-Aktivist:innen wurden jedoch für ihre Protestaktionen gebüsst und da sie sich weigerten, die Bussen zu bezahlen, mussten sie sich im März 2024 einem Gerichtsverfahren stellen. In einem vielbeachteten Urteil, wurden die Aktivist:innen freigesprochen.
Langwierige Mediationsverfahren
Zur Umsetzung des Urteils des höchsten Gerichts wurde ein Mediationsverfahren zwischen den Rentierzüchter:innen, den Betreiberfirmen und dem norwegischen Staat einberufen. Im Dezember 2023 kam es für die vom Projekt Storheia betroffene Südgruppe zu einer Einigung, im März 2024 dann auch für die vom Projekt Roan betroffene Nordgruppe. Die Saami-Familien erhalten gemäss der Einigung Entschädigungszahlungen und Ersatzweiden für die verlorenen Winterweiden. Weiter haben sie ein Vetorecht erwirkt, sollte Fosen Vind nach Ablauf der Lizenz im Jahr 2045 einen Antrag auf Verlängerung stellen.
Die Mediationsverfahren fanden unter einem grossen Druck statt für die beiden Saami-Gemeinschaften. Denn wäre es zu keiner Einigung gekommen, hätte dies wohl weitere langwierige und kostspielige Gerichtsverfahren zur Folge gehabt. Angehörige der Nordgruppe beschrieben den Druck als so hoch, dass sie sich fühlten, als sässen sie am Verhandlungstisch wie «mit einem Gewehr ins Gesicht gerichtet».
Die Einigungen der beiden Gruppen mit der Betreiberfirma und dem Energieministerium setzen einen Schlussstrich unter die Verfahren und die vom höchsten Norwegischen Gericht festgestellte Menschenrechtsverletzung ist offiziell behoben, sobald die Rentierzüchter:innen die neuen Weideflächen erhalten haben.
Aus der Sicht der GfbV wirft das Verfahren ein schlechtes Licht auf die norwegische Regierung und die Betreiberfirmen. Obwohl das höchste Norwegische Gericht bereits im Oktober 2021 eine Verletzung der Menschenrechte der Saami-Gruppen feststellte, folgten statt sofortigen Massnahmen zur Wiederherstellung der Rechte der Saami und Wiedergutmachung ein langwieriges Mediationsverfahren. Aus der Sicht von Sissel Holtan, Angehörige der Nordgruppe, fand das Mediationsverfahren unter ungleichen Vorzeichen statt. Sie stellt auch fest, dass das Verfahren nicht ergebnisoffen war: «Es war von Anfang an klar, dass unsere Forderung, nämlich der Rückbau der Anlagen, keine Option war.» Die GfbV unterstützte die beiden Saami-Gruppen in ihrer Forderung, dass die für illegal erklärten Turbinen auf Storheia und Roan zurückgebaut werden müssen. Sie forderte von den beiden Schweizer Geldgeber der Anlagen, sich für die Umsetzung des Gerichtsurteils und die Wiederherstellung und Wiedergutmachung der Rechte der Saami einzusetzen.
Auch Schweizer Geldgeber in der Verantwortung
Gemeinsam mit Vertreter:innen der Südsaami forderte die GfbV mit der Kampagne «Turbines Need Sami Consent» seit 2018 das Investoren-Konsortium Nordic Wind Power DA auf, das Projekt zu stoppen, die Investitionen zurückzuziehen und das Recht auf Freiwillige, Frühzeitige und Informierte Zustimmung (FPIC) für Indigene Gemeinschaften Am Konsortium Nordic Wind Power DA sind auch Schweizer Unternehmen massgeblich beteiligt. Die Windkraftanlage auf der Fosen-Halbinsel wurde durch Fosen Vind DA realisiert, dessen Eigentümer der staatliche norwegische Energiekonzern Statkraft sowie mit 40 Prozent Nordic Wind Power DA sind. Nordic Wind Power DA ist ein Konsortium europäischer Investoren, ursprünglich gegründet von der Credit Suisse Energy Infrastructure Partners AG, das zu 40% an Fosen Vind beteiligt ist. Im Jahr 2020 trat die Credit Suisse ihre Anteile an die Schweizer Investment-Firma Energy Infrastructure Partners (EIP) mit Sitz in Zürich ab. Teil des Konsortiums ist auch die BKW Energie AG mit Sitz in Bern. Die BKW ist über das Konsortium mit 11.2 Prozent indirekt am Projekt beteiligt. Entsprechend organisierte die GfbV für eine Delegation der Südsaami im Dezember 2018 eine Reise in die Schweiz, damit zwei Betroffene Gespräche mit den Investoren BKW und Credit Suisse führen und ihre Anliegen persönlich vorbringen konnten. Später reichte die GfbV eine Beschwerde gegen die BKW beim Nationalen Kontaktpunkt (NKP) für die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen ein.
Forderungen für die Zukunft: Einen wichtigen Erfolg konnte die GfbV im Sommer 2021 erzielen: Als Ergebnis des Mediationsverfahrens mit der GfbV verankerte die BKW das Prinzip der Freiwilligen, Frühzeitigen und Informierten Zustimmung (FPIC) in ihren internen Richtlinien. Dank einer solchen verbesserten Sorgfaltsprüfung soll es zukünftig gar nicht erst zu Menschenrechtsverletzungen kommen. Falls doch, kann die BKW dank Ausstiegsklauseln künftig aus der Geschäftsbeziehung aussteigen. Darüber hinaus wird sie niederschwellige Beschwerdemechanismen auf Projektebene verankern.
Doch in der Praxis zeigt sich leider, dass die BKW weiterhin Gewinne höher gewichtet als die eigenen Richtlinien und den Schutz Indigener Gemeinschaften. Nach der Besetzung des Platzes vor dem Büro des norwegischen Premierministers 2023 liess der Konzern verlauten, dass der «Betrieb der Anlagen durch das Urteil nicht unmittelbar berührt» sei – eine Haltung, welche die GfbV scharf kritisiert.
Die GfbV fordert:
- Die beteiligten Unternehmen sollen bei künftigen Projekten eine unabhängige Umwelt- und Sozialverträglichkeitsprüfung zu den Auswirkungen durchführen und veröffentlichen.
- Alle Akteure müssen sich bei sämtlichen künftigen Investitionsprojekten der Freien, Vorherigen und Informierten Zustimmung (FPIC) der Uno verpflichten und sicherstellen, dass die Rechte der Sámi berücksichtigt werden und ihre Mitsprache garantiert ist. Dies gilt auch für Projekte für erneuerbare Energien.
- Die Landrechte der Sámi müssen in künftigen Projekten anerkannt werden. Dies bedeutet bei einer Einigung über Landnutzungsrechte eine angemessene Entschädigung, beispielsweise durch Gewinnbeteiligung.
Während dem Bau der Windanlage: Leif Jåma spricht über die befürchteten Auswirkungen des Windprojekts auf die Rentierzucht.