27. August 2024
Medienmitteilung
GfbV kritisiert Verzicht auf Menschenrechtsanalyse vor Verhandlungen zum China-Freihandelsabkommen
Die Aussenpolitische Kommission des Nationalrats unterstützt das Mandat über die Weiterentwicklung des Freihandelsabkommens mit China. Für die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) ist es unverständlich, dass eine knappe Mehrheit der Kommission auf eine menschenrechtliche Folgeabschätzung und verbindliche Menschenrechtsbestimmungen verzichtet. Die GfbV begrüsst gleichzeitig, dass die Kommission den Bundesrat verpflichtet, die Evaluation der China-Strategie sowie den Bericht über die Situation der Tibeter:innen in der Schweiz in die Verhandlungen miteinzubeziehen.
Das Verhandlungsmandat für die Weiterentwicklung des Freihandelsabkommens mit China trägt in erster Linie den Wünschen der Wirtschaft Rechnung und lässt die Verantwortung der Schweiz zur Wahrung der Menschenrechte weitgehend ausser Acht. Im nun definitiven Mandat kommen menschenrechtliche Anliegen nur am Rande vor. Bundesrat und Kommission haben sich auch gegen den eigenen Vorsatz gestellt, «im Vorfeld wichtiger Wirtschaftsabkommen» wissenschaftliche Einschätzungen zu den ökonomischen, ökologischen und sozialen Auswirkungen durchzuführen. Das ist nicht zuletzt im Kontext der Menschenrechtssituation in China unverantwortlich. «Vor solchen Verhandlungen bräuchte es eine Analyse, welche über die Auswirkungen des Freihandels auf die Menschenrechte Auskunft geben könnte», kritisiert Anna Leissing, Geschäftsleiterin der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV). «Ohne diese Informationsgrundlage ist es nicht möglich, Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit dem Freihandelsabkommen auszuschliessen.»
«Dass der überfällige Bundesratsbericht über die Grundrechtssituation der Exil-Tibeter:innen und -Uigur:innen in der Schweiz in die Verhandlungen einbezogen werden soll, ist wichtig», sagt Anna Leissing. Diesen Bericht muss der Bundesrat aufgrund eines bereits 2020 überwiesenen Postulats (20.4333) erstellen, das auf eine Petition der GfbV zurückgeht. Diese wies bereits 2018 auf die Auswirkungen der immer engeren wirtschaftlichen Beziehungen mit China auf die Grundrechte der Tibeter:innen im Exil hin. Je stärker die Wirtschaftsinteressen, desto schwieriger ist es, sich bei der Schweizer Regierung Gehör zu verschaffen – dies kritisieren die tibetischen und uigurischen Partner:innen der GfbV schon lange.
Nach dem Entscheid der AKP-N können die offiziellen Verhandlungen zwischen der Schweiz und der Volksrepublik China lanciert werden. Die Gesellschaft für bedrohte Völker und ihre Partnerorganisationen nehmen Bundesrat und Verhandlungsdelegation dabei weiterhin in die Pflicht. «Ohne Einbezug der Menschenrechte darf es keine Erweiterung des Freihandelsabkommen geben!», sagt GfbV-Geschäftsleiterin Anna Leissing. Um dieser Forderung Nachdruck zu verleihen, werden die GfbV und ihre Partner:innen im September die Petition «Eine rote Linie für die Schweiz» einreichen. Sollten auch diese Stimmen ungehört bleiben und das Freihandelsabkommen ohne substanziellen Einbezug der Menschenrechte erweitert werden, wird auch die GfbV das Referendum ernsthaft prüfen müssen.
Hintergrundinfos: Menschenrechte in China
Die Schweiz ist eines der wenigen Länder in Europa, das ein Freihandelsabkommen mit China abgeschlossen hat. Die engsten Handelspartner der Schweiz in der EU sowie die USA ergreifen zunehmend Sanktionen gegen die chinesische Regierung, um sie für ihre Menschenrechtsverletzungen zur Verantwortung zu ziehen. Denn die Menschenrechtssituation in der Volksrepublik China hat sich in den vergangenen 10 Jahren stark zugespitzt:
Repression gegen die tibetische Gemeinschaft: Bei Protesten gegen den geplanten Bau eines Wasserkraftwerkes, für dessen Inbetriebnahme mehrere Dörfer und tibetische Klöster von grosser historischer Bedeutung überflutet werden sollen, wurden im Frühjahr 2024 über tausend Menschen, darunter Nonnen und Mönche, verhaftet. Bis zu einer Million tibetische Schülerinnen und Schüler ab 4 Jahren – das sind über 80 Prozent aller schulpflichtigen tibetischen Kinder – werden gezwungen, Internatsschulen fern von ihren Familien zu besuchen, wo ihnen nur die chinesische Sprache und Kultur vermittelt wird.
Repression gegen die uigurische Gemeinschaft in Ostturkestan (chin. Xinjiang): Weltweit Schlagzeilen machte in den vergangenen Jahren die Inhaftierung von etwa einer Million Menschen in sogenannten «Umerziehungslagern», wo sie indoktriniert und teilweise gefoltert und vergewaltigt werden. Während jüngst einige dieser Lager aufgrund des internationalen Drucks geschlossen wurden, wird die uigurische Bevölkerung generell stark überwacht. Ehemalige Insass:innen der Lager werden unter Hausarrest gestellt, zu langjährigen Haftstrafen verurteilt oder müssen Zwangsarbeit leisten. Zudem ist dokumentiert, wie die chinesische Regierung durch Zwangssterilisationen und weitere Massnahmen zur Geburtenkontrolle bei uigurischen Frauen eine dramatische Änderung der demografischen Zusammensetzung in der Region herbeiführt.