Schweiz

Für die Rechte von Roma, Sinti und Jenischen

Für Respekt und Anerkennung, gegen Diskriminierung und Vorurteile: Mit dem Programm «Stopp Antiziganismus» setzt sich die GfbV für die Rechte von Roma, Sinti und Jenischen ein.

Foto: Franziska Rothenbühler

Unser Engagement für Roma, Sinti und Jenische

Die Gesellschaft für bedrohte Völker setzt sich gemeinsam mit Vertreterinnen und Vertretern der Roma, Sinti und Jenischen dafür ein, dass deren Rechte in der Schweiz gewährleistet sind. Mit ihrer Kampagne "Stopp Antiziganismus" engagiert sich für Respekt und Anerkennung sowie gegen Vorurteile und Diskriminierung.

Hinweis: Aufgrund der thematischen Schwerpunktsetzung  beschränkt sich die GfbV bei dieser Kampagne aktuell auf eine Watchdog-Funktion bei Antiziganismus und punktuell bei Fragen von Halteplätzen für fahrende Gemeinschaften.

 

Die Schweiz hat 1998 das Rahmenübereinkommen des Europarats zum Schutz nationaler Minderheiten ratifiziert. Heute sind in der Schweiz sprachliche Minderheiten, Jenische, Sinti und Manouches sowie Mitglieder der jüdischen Gemeinschaft als nationale Minderheiten anerkannt. Ein Antrag für die Anerkennung der Roma als nationale Minderheit wird derzeit geprüft.

Die GfbV und ihre Partnerorganisationen stellen fest, dass für die erfolgreiche Umsetzung des Rahmenübereinkommens in der Schweiz immer noch Handlungsbedarf besteht. Sowohl die Sinti und Jenischen als auch die Roma werden, obwohl seit Jahrhunderten Teil der Schweizer Realität, als Fremdkörper behandelt und sind struktureller Diskriminierung, Vorurteilen und Rassismus ausgesetzt.

Problemfelder: Politik, Medien, Bildung und Polizeiarbeit

Für die unheilvolle Kombination von struktureller Diskriminierung und kultureller Stigmatisierung von Roma, Sinti und Jenischen hat sich in der Geschichts- und Sozialwissenschaft der Begriff „Antiziganismus“ herausgebildet. Im Zentrum stehen folgende Problemfelder:

  • In vielen Medien herrscht eine pauschalisierende und einseitige Berichterstattung, bei der Roma, Sinti und Jenische kaum zu Wort kommen.
  • Gerade in den letzten Jahren haben öffentliche diskriminierende und rassistische Äusserungen gegenüber Roma, Sinti und Jenischen zugenommen – auch seitens der Politik.
  • Alle drei Minderheiten werden überdurchschnittlich oft von der Polizei kontrolliert und sind unnötigen Belästigungen ausgesetzt.
  • Der Mangel an Stand- und Durchgangsplätzen hindert die fahrenden Gruppen der Minderheiten daran, ihre fahrende Kultur Lebensweise zu pflegen und weiterzuentwickeln.
  • Der politische Einbezug der drei Minderheiten ist ungenügend.
  • Die Geschichte und Kulturen der Roma, Sinti und Jenischen, werden in Schweizer Schulen kaum vermittelt. Besonders die Vermittlung der problematischen Schweizer „Zigeunerpolitik“ der Vergangenheit gehört nicht zum obligatorischen Schulstoff. Folge des mangelnden Wissens ist, dass Klischees und Vorurteile auch in der Gegenwart unhinterfragt weitergegeben werden.

Das tut die GfbV

Gemeinsam mit Vertreterinnen und Vertretern der Roma, Sinti und Jenischen setzt sich die GfbV gegen Antiziganismus und für Gleichberechtigung ein. So koordiniert die GfbV gemeinsame Kampagnen für mehr Respekt und Anerkennung. Auf politischer Ebene setzt sich die GfbV mit Stellungnahmen, Interventionen und Lobbying für deren Rechte ein. Schliesslich sensibilisiert sie via Öffentlichkeits- und Medienarbeit für die Situation von Roma, Sinti und Jenischen in der Schweiz und erinnert an die Folgen der Schweizer „Zigeunerpolitik“. Zudem hat die GfbV den Aktionsplan Jenische, Sinti und Roma des Bundes mitinitiiert und nahm in beratender Funktion an den Sitzungen teil. Die GfbV wird die Umsetzung des Aktionsplanes kritisch begleiten.

Jenische und Sinti in der Schweiz

Die Jenischen und Sinti in der Schweiz konnten in letzter Zeit wichtige Erfolge verbuchen. Die Gesellschaft für bedrohte Völker hat sie auf diesem Weg unterstützt.

In der Schweiz leben 35 000 Jenische, davon sind 2000 bis 3000 Fahrende. Dazu kommen noch einige hundert Sinti mit meist fahrender Lebensweise. Für sie war das Jahr 2016 ein gutes Jahr: Anlässlich der Feckerchilbi in Bern sprach Bundesrat Alain Berset aus, worauf die beiden Minderheiten lange gewartet hatten: Jenische und Sinti seien künftig nicht mehr unter dem diffusen Begriff „Fahrende“, sondern unter ihrer Eigenbezeichnung anerkannt. Damit haben sie ihr Ziel erreicht, als nationale Minderheiten in der Schweiz anerkannt zu werden.

Aufarbeitung der Geschichte

Auch bei der öffentlichen Aufarbeitung der Geschichte haben die Minderheiten gemeinsam mit der GfbV Erfolge erzielt. So bekräftigte der Bundesrat 2016 in seiner Antwort auf eine Interpellation von Barbara Gysi (SP) zum Gedenken an die Opfer des „Hilfswerks Kinder der Landstrasse“, dass die Erinnerung an die problematischen Aspekte unserer Geschichte gepflegt werden müssen. Daher ist der Bundesrat bereit, die Unterstützung eines Bestrebens Dritter zur Errichtung einer Gedenkstätte zu prüfen. Das„Hilfswerk Kinder der Landstrasse“ nahm zwischen 1926 und 1972 rund 600 Kinder ihren jenischen Eltern weg, um die jenische Kultur „auszurotten“.

Während des Zweiten Weltkriegs wurden verfolgte Jenische, Sinti und Roma in der Schweiz nicht aufgenommen – viele von ihnen starben in Konzentrationslagern. Bis 1972 war die Schweizer Grenze für ausländische „Zigeuner“ gesperrt, und das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement führte bis 1990 ein „Zigeunerregister“, worin alle in der Schweiz aufgegriffenen Roma, Sinti und Jenischen erkennungsdienstlich erfasst wurden.

Mehr Stand– und Durchgangsplätze

Der Mangel an Stand- und Durchgangsplätzen für die fahrenden Jenischen, Sinti und Roma hat sich in den letzten 15 Jahren verstärkt. Er führt dazu, dass die Betroffenen ihre fahrende Lebensweise nur unter schwierigen Bedingungen pflegen und weiterentwickeln können. Die GfBV wird alle fahrenden Minderheiten weiterhin unterstützen, damit genügend Plätze geschaffen werden können.

Bundesrat Alain Berset besuchte die 2016 Feckerchilbi in Bern.

Bundesrat Alain Berset besuchte die 2016 Feckerchilbi, ein traditionelles Treffen der Jenischen und Fahrenden, in Bern. Foto: Andreas von Gunten / Bildarchiv Radgenossenschaft

Roma in der Schweiz

Roma in der Schweiz erzählen.

In der Schweiz leben schätzungsweise 80 000 bis 100 000 Roma. Kaum jemand weiss, wer sie sind. Und wenn sie sich zu erkennen geben, so begegnen sie immer noch Vorurteilen und offenem Rassismus.

 «Als Roma in der Schweiz lebt man gut, solange man sich nicht geoutet hat.» Mit diesem Satz beginnt ein Video mit Erfahrungsberichten von Schweizer Roma, welches die GfbV im Hinblick auf den Internationalen Tag der Roma am 8. April 2017 produziert hat. Die Roma gehören seit 600 Jahren zur Schweizer Realität. Sie haben eine eigene Kultur und Sprache, sie sind gut integriert. Die meisten von ihnen sind Schweizer Bürgerinnen und Bürger. Aber noch immer werden Vorurteile und Klischees unhinterfragt weitergegeben. So nehmen rassistische Äusserungen gegen Roma in Politik und Öffentlichkeit zu; die Medien berichten immer noch vorwiegend pauschalisierend; von der Polizei werden Roma oft willkürlich angehalten und kontrolliert. Und eine öffentliche Aufarbeitung der Geschichte der Roma in der Schweiz, geprägt von Ausgrenzung und Ablehnung, steht noch aus.

Warten auf die Anerkennung

Der Entwurf zum Aktionsplan des Bundesrats unter der Federführung des Bundesamts für Kultur zur Verbesserung der Situation von Jenischen, Sinti und Roma von Ende 2016 anerkennt die Roma erstmals als Teil der kulturellen Vielfalt der Schweiz. Ebenso bekennt sich der Bund zu seiner Verpflichtung, Rahmenbedingungen zu gewährleisten, die den Roma eine ihrer Kultur entsprechende Lebensweise ermöglichen. Gleichzeitig zeigt sich der Bundesrat bereit, die Frage der Anerkennung des Romanes als nicht territorial gebundener Sprache im Sinne der Europäischen Sprachencharta bei der nächsten periodischen Berichterstattung zu prüfen. Dennoch: Die Anerkennung der Roma im Rahmen des Rahmenübereinkommens zum Schutz nationaler Minderheiten des Europarates, ist immer noch hängig. Roma-Organisationen haben hierzu 2015 bei der Direktion für Völkerrecht ein Gesuch eingereicht.

Rassistische Äusserungen nehmen zu

Von Seiten der Politik stellen die GfbV und die Roma-Organisationen eine Zunahme rassistischer Äusserungen gegenüber Roma fest. So reichte die GfbV gemeinsam mit Romaorganisationen 2016 gleich zweimal wegen Verstössen gegen die Rassismus-Strafnorm Strafanzeige gegen zwei Politiker ein. Sie fordert, dass Politik und Verwaltung rassistische Äusserungen gegenüber Roma in derselben Deutlichkeit verurteilen, wie sie es zu Recht bei rassistischen Äusserungen gegenüber anderen Minderheiten in der Schweiz tun.

Geschichte aufarbeiten

Das Verhältnis zwischen der Schweiz und der Gemeinschaft der Roma ist von jahrhundertelanger Ausgrenzung und Ablehnung geprägt. Bis 1972 war die Schweizer Grenze für ausländische „Zigeuner“ gesperrt, und das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement führte bis 1990 ein „Zigeunerregister“, worin alle in der Schweiz aufgegriffenen Roma, Sinti und Jenischen erkennungsdienstlich erfasst wurden. Während des Zweiten Weltkriegs wurden verfolgte Jenische, Sinti und Roma in der Schweiz nicht aufgenommen – unzählige von ihnen starben in Konzentrationslagern.Eine öffentliche Aufarbeitung dieses düsteren Kapitels Schweizer Geschichte steht noch aus. Die Folge davon ist, dass Klischees und Vorurteile auch in der Gegenwart weiter bestehen. Mit ihrer Öffentlichkeits- und Medienarbeit wollen die GfbV und ihre Partner erreichen, dass die Schweizer „Zigeunerpolitik“ bekannt und Teil des obligatorischen Schulstoffes wird.

Aktionstag vom 6. April 2017 zu den Rechten der Roma in der Schweiz.

Der Holocaust an Roma

Weltweit wird am 27. Januar der internationale Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust begangen. Der Tag verweist auf den Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz-Birkenau im Jahr 1945. Was oft vergessen geht: Auch Roma wurden unter dem Nationalsozialismus zu Tausenden verfolgt. Mindestens 500 000 Roma und Sinti wurden während des Zweiten Weltkrieges systematisch ermordet. Allein in der Nacht vom 2. auf den 3. August 1944 starben fast 3000 Menschen bei der Liquidierung des sogenannten „Zigeunerlagers“ im Konzentrationslager Auschwitz II-Birkenau.

Aus diesem Grund wurde der 2. August 2015 von der Europäischen Kommission zum Roma Holocaust Memorial Day erklärt. Die GfbV unterstützte 2017 eine Motion, die forderte, diesen Tag auch in der Schweiz anzuerkennen und somit ein Zeichen gegen das Vergessen des Roma Holocaust zu setzen. Dieser Antrag wurde abgelehnt, mit der Begründung, dass anlässlich des Gedenktags vom 27. Januar jeweils Aktivitäten durchgeführt werden, die sich spezifisch mit der Verfolgung von Roma, Sinti und Jenischen auseinandersetzen und von EDI und EDA finanziert werden.

Die GfbV bedauert diesen Entscheid und fordert die Schweiz auf, im Rahmen ihrer Präsidentschaft der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) 2017-2018 das Gedenken an den Roma Holocaust zu stärken und dadurch ein wichtiges Zeichen gegen Rassismus und Diskriminierung zu setzen. Die IHRA hat mit ihren 31 Mitgliedstaaten zum Ziel, die Forschung und Bildung in Bezug auf den Holocaust zu fördern sowie die Erinnerung an die Opfer durch Gedenkfeiern und -stätten wachzuhalten. Dies muss auch in Bezug auf die Roma und Sinti  geschehen – „gegen das Vergessen“ soll sich auf alle verfolgten Gruppen beziehen.

Die Forderungen der GfbV

Für die Gleichberechtigung der Roma, Sinti und Jenischen in der Schweiz sind zusätzliche Anstrengungen nötig. Sie betreffen die Anerkennung, die Infrastruktur für Fahrende, die Polizeiarbeit, das Engagement gegen Antiziganismus sowie Information und Bildung.

Das sind die Forderungen der GfbV im Rahmen ihrer Kampagne "Stopp Antiziganismus":

  • Anerkennung der Roma: Die Roma sind als nationale Minderheit im Sinne des Rahmenübereinkommens zum Schutz der nationalen Minderheiten anzuerkennen und Romanes, die Sprache der Roma und Sinti, muss als nicht-territorial gebundene Minderheitensprache anerkannt werden.
  • Infrastruktur: Es sind genügend Stand- und Durchgangsplätze für alle fahrenden Gemeinschaften zur Verfügung zu stellen. Platzverbote für ausländische fahrende Gruppen sind zu unterbinden.
  • Antiziganismus: Antiziganismus ist als spezifische Form des Rassismus anzuerkennen und öffentlich zu verurteilen. Es braucht klare Massnahmen, um Antiziganismus in Politik, Medien und Gesellschaft zu bekämpfen.
  • Racial Profiling: Es sind unverzüglich Massnahmen gegen Racial Profiling von Jenischen, Sinti und Roma zu ergreifen.
  • Politik: Die systematische Vertretung der Jenischen, Sinti und Roma in Entscheidungsprozessen auf Bundes-, kantonaler und kommunaler Ebene ist zu gewährleisten.
  • Bildung: Die Geschichte und Kulturen der Jenischen, Sinti und Roma sind systematisch in die Lehrpläne und in kantonale Schulmaterialien zu integrieren. Die Schweizer „Zigeunerpolitik“ muss öffentlich aufgearbeitet werden.
  • Holocaust: Der 2. August, der International Roma Holocaust Memorial Day, ist als Gedenktag anzuerkennen, um ein Zeichen gegen die anhaltende Diskriminierung der Jenischen, Sinti und Roma zu setzen.
  • Kultur: Die Kulturen der Jenischen, Sinti und Roma sind zu fördern und müssen als integraler und relevanter Bestandteil der kulturellen Vielfalt der Schweiz anerkannt werden.

Kontakt

Kontaktperson bei der GfbV:

Christoph Wiedmer, Co-Geschäftsleiter

Tel. +41 (0) 31 939 00 01

christoph.wiedmer@gfbv.ch

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