FAQ indigene Völker & Minderheiten
1. Was ist ein indigenes Volk?
Indigene Gemeinschaften, Völker und Nationen weisen in der Regel folgende Kriterien auf:
- Zeitliches Kriterium: Indigene Völker sind die „ersten“ Bewohner eines Gebiets; sie lebten vor der Ankunft von Kolonisatoren respektive dominierenden Gesellschaften im entsprechenden Gebiet.
- Kulturelle Besonderheit: Sie bewahren ihre kulturelle Besonderheit (Sprache, Gesellschaftsorganisation, Religion, spirituelle Werte, Produktionsweisen und Institutionen) und sind von der dominierenden Gesellschaft unterschieden. Sie fühlen sich ihrem Land seit Menschengedenken kulturell und spirituell verbunden, und ihre traditionelle Lebensweise ist von diesem Land und seiner Nutzung abhängig.
- Selbstidentifikation: Die Betroffenen sind selbst mehrheitlich der Ansicht, dass sie einem unterschiedlichen Volk oder einer unterschiedlichen Gruppe angehören und erleben sich selber als „indigen“.
- Marginalisierung: Das Volk hat meist lange unter Unterdrückung, Enteignung, Marginalisierung, Ausschluss oder Diskriminierung gelitten, im Extremfall bis hin zu Zwangsvertreibung und Ausrottung.
Die GfbV stützt sich auf die Definition des Uno-Sonderberichterstatters der Unterkommission über Prävention von Diskriminierung und Schutz von Minderheiten, José R. Martinez Cobo, auf Präzisierungen von Erika-Irene Daes, der langjährigen Vorsitzenden der Uno-Arbeitsgruppe über indigene Bevölkerungen, und auf die Beschreibungen der Afrikanischen Kommission zu den Rechten der Menschen und Völker (African Commission on Human and Peoples’ Rights).
2. Welche Eigenschaften teilen indigene Völker ?
Indigene Völker teilen eine tiefe Beziehung zu ihrem Lebensraum und zur Natur im Allgemeinen. Sie zeichnen sich durch von der dominierenden Bevölkerungsgruppe abweichende kulturellen Traditionen, Gewohnheiten und soziale Organisation aus.
Die meisten indigenen Gemeinschaften sind seit längerem in Kontakt mit dominanten Gemeinschaften. Oft führt dies zu einem Wertewandel und damit verbunden Einschränkungen oder gar dem Verlust der traditionellen Lebensweise.
Viele indigene Gemeinschaften pflegen eine jahrhundertealte Tradition. In einigen indigenen Gemeinschaften suchen junge Indigene zunehmend den Kontakt mit der Aussenwelt, wollen studieren und sich in die „moderne“ Welt integrieren.
3. Wie viele Indigene Völker gibt es?
Es gibt ungefähr 370 Millionen Menschen in 70 Ländern, die sich mit einem indigenen Volk identifizieren. Über die Jahre wurden viele indigene Völker ausgerottet – etwa wegen Krankheiten, die von den Kolonialherren verbreitet wurden oder auch durch gezielte Vernichtungspolitik.
4. Was sind die Hauptprobleme der Indigenen?
Indigene Völker wurden im Zuge der Kolonisierung oft von ihrem Land enteignet. Dies hatte für sie fatale Auswirkungen, da sie auf ihr Land angewiesen sind, um ihren Lebensunterhalt aufrecht zu erhalten und ihre Existenz zu sichern. In gewissen Gebieten haben koloniale Ländergrenzen die traditionellen Weidegebiete der Nomaden getrennt, was ähnliche Folgen hat die eine Enteignung. Oft leben indigene Völker in ressourcenreichen Gegenden, wodurch sie insbesondere mit Grosskonzernen im Konflikt kommen, welche diese Ressourcen ausbeuten wollen. Oft vertreiben die Konzerne mit Hilfe des Staates die Indigenen oder setzen sie massiv unter Druck, damit sie die industriellen Aktivitäten auf dem Land akzeptieren.
Viele indigene Völker müssen ständig um die Akzeptanz ihrer Lebensform kämpfen. Indigene gehören zu den am meisten benachteiligten und marginalisierten Menschen der Welt. Sie sind seitens Regierung unter Druck, sich zu „entwickeln“ und zum Beispiel den Widerstand gegen industrielle Aktivitäten in ihrem Gebiet aufzugeben. Wirtschaftliche Akteure setzen Indigene unter Druck, wenn sich gegen zerstörerische Aktivitäten wehren. Die dominierende Gesellschaft begegnet ihnen oft mit Rassismus oder gar Gewalt. Aber auch gewisse Nichtregierungsorganisationen instrumentalisieren die Indigenen für ihre eigene Zielsetzungen, sei es für Schutzgebiete, sei es für ihren politischen Kampf. Damit werden sie zum Spielball der Mächtigen auf Kosten ihrer Tradition, Kultur, ja manchmal gar ihres Überlebens.
5. Sind die Rechte der Indigenen durch Resolutionen oder Konventionen geschützt?
Am 13. September 2007 stimmte die UNO-Generalversammlung der Deklaration über die Rechte indigener Völker zu. Diese anerkennt das Recht auf Selbstbestimmung, auf die freie Ausübung ihrer Institutionen, Kultur und Traditionen und das Recht, diese weiterzuentwickeln. Aktivitäten auf dem Gebiet der Indigene dürfen nur dann stattfinden, wenn die Indigenen ihr freies, vor der Nutzung eingeholtes und auf vollständiger Information basierendes Einverständnis (free, prior and informed consent - FPIC) gegeben haben. Dieses Prinzip ist zu einem wichtigen Instrument zur Wahrung der Indigenenrechte geworden, insbesondere wenn es um wirtschaftliche Projekte auf dem Gebiet der Indigenen geht.
Die Deklaration formuliert umfassende Rechte für die indigenen Völker und ist damit zur Referenz geworden. Allerdings ist sie nicht verbindlich.
Von grosser Bedeutung ist auch das Übereinkommen Nr. 169 der Internationalen Arbeitsorganisation über indigene und in Stämmen lebende Völker von 1989 (ILO 169). In dieser Konvention sind Grundrechte der Indigenen wie das Recht auf ein eigenes Territorium, eine eigene Lebensweise, Kultur und Sprache verankert. Zudem wird darin in gewissen Umständen wie Umsiedlung der FPIC (das Einverständnis, s. oben) verlangt. Bislang haben erst 22 Staaten das Übereinkommen ratifiziert (Stand: 2017).
Ein wichtiges Ziel der GfbV und vieler indigenen Organisationen ist es, die in den oben erwähnten Abkommen erwähnten Rechte in die jeweiligen nationalen Gesetzgebungen zu integrieren, damit sie rechtsverbindlich werden.
Weiter geniessen die Individuen indigener Völker wie alle Menschen die Rechte, die ihnen andere völkerrechtlich relevante Instrumente geben, wie die Biodiversitätskonvention (Schutz für indigenes Wissen), die Konvention zur Eliminierung von rassistischer Diskriminierung, der Pakt für ökonomische, soziale und kulturelle Rechte, der Pakt für politische und zivile Rechte, die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte und die Charta der UNO.
6. Was fordern die Indigenen?
Generell fordern indigene Völker ihre Landrechte, die Einhaltung der Rechte von indigenen Gemeinschaften und Individuen gemäss den völkerrechtlichen Vorgaben, insbesondere der Erklärung der Rechte indigener Völker der Vereinten Nationen, und ein Ende der Marginalisierung. Sie wollen heute und in Zukunft selber bestimmen können, wie sie ihr Leben gestalten.
Viele Forderungen, die in den konkreten Konfliktfällen mit Firmen, Regierungen oder Organisationen auftreten, können wiefolgt charakterisiert werden:
- Indigene Völker wollen bestimmen, was in ihrem Gebiet geschieht. Dies beinhaltet das Recht, eine Nutzung durch Aussenstehenden zu verweigern, ihr zuzustimmen und mitzubestimmen, wie die Nutzung erfolgen soll.
- Indigene Völker wollen, dass der Schaden an ihrer Umwelt minimiert wird.
- Von den Indigenen bestimmte Zonen müssen völlig verschont bleiben (heilige und verbotene Gebiete, zeremonielle Stätte, Gräber etc).
- Für allfällige Schäden sollen gemeinsam ausgehandelte Kompensationen geleistet werden.
Ein Teil des Gewinns soll in die Gemeinschaften investiert werden (Benefit-Sharing).
7. Was ist eine Minderheit?
Der Begriff Minderheit bezieht sich auf eine Gruppe von Menschen, die sich aufgrund ihrer Nationalität, Ethnizität, Religion, Kultur oder Sprache von anderen Bevölkerungsgruppen ihres Staates abgrenzt bzw. ausgegrenzt wird. Die Minderheit wird üblicherweise durch eine Mehrheit dominiert. Sie müssen oft dafür kämpfen, ihre Identität zu wahren oder sie zu entwickeln. In den meisten Fällen können auch indigene Völker als Minderheiten bezeichnet werden.
8. Mit welchen Problemen sind Minderheiten konfrontiert?
Strukturelle oder systematische Probleme innerhalb eines Staates erschweren es den Minderheiten an Entscheidungsprozessen teilzunehmen. Zudem verschaffen diese der dominierenden Bevölkerungsgruppe unbegründete Vorteile im wirtschaftlichen, sozialen und politischen Bereich, wodurch wiederum die Minderheit diskriminiert wird.
9. Was sind die Konsequenzen einer Marginalisierung der Minderheiten für die Gesellschaft?
Soziale, wirtschaftliche und politische Ungleichheit zwischen Bevölkerungsgruppen ist ein Nährboden für Konflikte. Um Konflikte zu verhindern, sollte Gleichheit zwischen allen Bevölkerungsgruppen, soziale Gerechtigkeit und eine faire Partizipation aller in den Entscheidungsprozessen gefördert werden.
10. Wie werden die Rechte von Minderheiten auf internationaler Ebene geschützt?
Im Jahr 1992 verabschiedete die UNO- Generalversammlung die Resolution zur Erklärung über die Rechte von Personen, die nationalen oder ethnischen, religiösen oder sprachlichen Minderheiten angehören. Es ist das einzige Instrument der UNO, welches spezifisch auf die Rechte der Minderheiten eingeht.
Daneben gibt es regionale Abkommen zum Schutz der Minderheiten, wie z.B. das "Europäische Rahmenabkommen zum Schutz nationaler Minderheiten", verabschiedet durch den Europarat.
Indigene Völker als eine spezielle Form von Minderheiten werden durch unterschiedliche internationale, teils verbindliche Konventionen geschützt (siehe Frage 5).